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„Jungfrau sein ist cool“ Von Andrea Böhm

Anderthalb Wochen noch – dann steigt in zweifacher Ausfertigung die Wiederauflage des Woodstock-Festivals. 25 Jahre ist es her, seit Jimi Hendrix, Janis Joplin und Ravi Shankar auf einer Wiese in der Nähe eines Kaffs, das gar nicht Woodstock hieß, spielten – und plötzlich konnte man vor lauter Menschen das Gras nicht mehr sehen. Seitdem behauptet ungefähr jeder zweite in den USA, in Woodstock dabeigewesen zu sein. Irgendwie stimmt es vielleicht auch.

Was also kann man anläßlich des kommerzträchtigen 25jährigen Jubiläums Besseres anstellen, als das Festival, wenn auch in veränderter Besetzung, zu wiederholen. Hendrix und Joplin sind tot, Shankar samt Sitar unbekannt verzogen. Aber Joe Cocker, Stephen Stills und Country Joe McDonald leben, schnaufen und singen noch – und werden auftreten. Tickets, die 1969 sechs Dollar kosteten, sind heute nicht unter neunzig Dollar zu haben. Dafür gibt's „Gourmet Food“ und anständige Toiletten und garantiert keine Regengüsse, die das Ganze in ein Schlamm- Happening verwandeln könnten.

Natürlich wird bei solchen Gelegenheiten heftig darüber sinniert, wie es denn damals war mit sex and drugs and rock 'n' roll und wo sie denn heute ist, die „Protestbewegung“. Sie war am Wochenende hier, in Washington. 20.000 Oberschülerinnen, viele in Begleitung ihrer boyfriends, demonstrierten auf der Wiese zwischen Capitol und Weißem Haus ihre Form von counterculture: Sie pflanzten 200.000 Karten in den Rasen – jede handsigniert und versehen mit dem Schwur, mit dem ersten Sex bis zur Ehe zu warten. „True Love Waits“ heißt die Kampagne, die vor sechzehn Monaten von 59 Schülerinnen einer Baptistengemeinde in Nashville, Tennessee, gestartet worden war. Der Präsident, unser aller Baby Boomer „Bill mit dem Saxophon“, der zwar gekifft, aber angeblich nie inhaliert hat, empfing eine Delegation der Jugendlichen mit lobenden Worten für die gelobte Enthaltsamkeit.

„Jungfrau sein ist cool“ – heißt die Devise der Teenager. Viele beklagen sich über Gruppendruck in der Schule, wo oft als unnormal gilt, wer mit fünfzehn oder sechzehn noch keine „erfolgreiche“ Nacht mit Freund oder Freundin vorweisen kann. Ihnen stinkt, daß die MTV-Videos nur Sex, nicht aber Abstinenz als „hip“ ausweisen. Sie lassen sich von ihren Eltern in einer eigenen Zeremonie goldene Armbänder schenken, die sie in der Hochzeitsnacht ihren Ehemännern als Beweis der Jungfräulichkeit überreichen. Und sie tragen weiße Schleifen als Zeichen der neuen „Gegenbewegung“ – ein Accessoire, das sie von der Aids- Bewegung übernommen haben, womit die Berührungspunkte aber schon erschöpft sein dürften. Die erwachsenen – und meist männlichen – Initiatoren aus baptistischen Kirchengemeinden freut's. Jetzt kann man den verkommenen Liberalen in Washington endlich die jungfräuliche Alternative zur offenen Diskussion über Kondome bieten. Die Aktion endete mit einem Rockkonzert der Stars aus den christlichen Hitparaden. Davon gibt es mittlerweile mehrere – für jeden Geschmack: Hardrock mit christlichen Texten, Rap mit christlichen Texten, Folk mit christlichen Texten. Am beliebtesten ist natürlich: Rock 'n' Roll – ohne Sex und Drogen.

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