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Schmuggler und Obertaucher

Auf äußerst unterschiedliche Art rüsten sich die Stars der Fußball-Weltmeisterschaft für die Herausforderungen der kommenden Saison  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – Die hektischen Tage der Fußball-WM sind vorüber, und so langsam finden sich die Protagonisten dieses Ereignisses wieder bei ihren jeweiligen Klubs ein, um den Alltag in Gestalt der neuen Ligasaison in Angriff zu nehmen. Oder auch nicht! Die brasilianischen Weltmeister etwa vertreiben sich die Zeit noch mit Strandfußball, Kleinfeldturnieren und neckischen Scharmützeln mit der brasilianischen Zollbehörde. Als erstes Mitglied der importwütigen Delegation hat sich der scheidende Nationaltrainer Carlos Alberto Parreira dem wütenden Aufschrei der Öffentlichkeit gebeugt, die auch Cupgewinnern keine Schmuggellizenz erteilen möchte, und rund 5.000 Dollar Einfuhrzölle für diverse Mitbringsel ins Staatssäckel gezahlt. Dann machte er sich auf zu seinem neuen Verein, dem FC Valencia, und atmete nach der Landung erstmal tief durch: „Zumindest habe ich hier keine 150 Millionen Leute auf dem Hals.“

Torjäger Romario, schon in den USA kein Freund der kompromißlerischen Taktik Parreiras, bleibt sich nach dem glorreichen Triumph von Pasadena erst recht treu. Er will keine Zölle zahlen und denkt vorläufig auch nicht daran, zum FC Barcelona zurückzukehren, wo die ebenfalls nicht gerade als überschäumend kooperativ bekannten Kollegen Stoitschkow und Hagi inzwischen brav ihren Dienst antraten. Vor 2.000 begeisterten Zuschauern bestritt Romario statt dessen auf einem staubigen Platz in einer Favela von Rio de Janeiro ein vollständiges Match, um zu beweisen, „daß mir der Ruhm nicht zu Kopf gestiegen ist“, und ließ verlauten, daß er 15 zusätzliche Urlaubstage für durchaus angemessen halte. Er habe auch versucht, den FC Barcelona telefonisch zu erreichen, der Verein habe ja sicherlich Verständnis für sein Erholungsbedürfnis. Trainer Johan Cruyff sieht das ein wenig anders: „Ich habe noch nicht mit ihm gesprochen. Wir hoffen, daß er auftaucht, und dann werden wir die Entscheidungen treffen, die wir treffen müssen.“

Etwas früher als Romario werden wohl seine Mitspieler Bebeto, Dunga, Branco und Taffarel bei ihren europäischen Klubs eintreffen, obwohl auch sie noch vor einigen Tagen in Buenos Aires ein Kleinfeldmatch gegen ein Quartett mit niemand geringerem als Diego Maradona bestritten. Der argentinische Schlankheitskünstler wies derweil jede Spekulation über eine Fortsetzung seiner Karriere in Japan, bei Boca Juniors, in den USA oder sonstwo weit von sich, auch wenn die erneute Dopingsperre glimpflich ausfallen sollte, was kaum zu erwarten ist. Für ihn sei endgültig Schluß, erklärte Maradona, er sei jedoch bereit, als Jugendtrainer für den argentinischen Verband zu arbeiten, sofern zum neuen Nationalcoach nicht sein alter Feind Daniel Passarella berufen wird. Seit 1979 hat das Juniorenteam nichts mehr gewonnen, damals waren die Argentinier – mit dem 18jährigen Maradona – in Japan Weltmeister geworden.

Auf Diegos Spuren wandelt der große Finalverlierer Roberto Baggio. Hatte Maradona zu Jahresbeginn mit einem Luftgewehr auf argentinische Journalisten geschossen, müssen sich die neugierigen Reporter nun auf größere Kaliber gefaßt machen. Baggio, der sich durch seinen buddhistischen Glauben keineswegs davon abhalten läßt, bewaffnet der Tierwelt nachzustellen, weilt in der Nähe von Buenos Aires zur Enten- und Taubenjagd. Vom Jäger wurde der (fast) jederzeit treffsichere Schütze jedoch schnell zum Gejagten. „Ich dachte, ich hätte meine Ruhe“, klagte er angesichts der vor seiner Haustür zusammengeballten Journalistenschar, „aber es ist unerträglich.“ Aus dem Munde eines Fußballers, der seinem Gewerbe immerhin in Italien nachgeht, will das etwas heißen.

Andere Sorgen hatten jene WM-Stars, die noch einen neuen Verein suchten. Die meisten sind inzwischen unter der Haube: Lalas in Padua, Häßler in Karlsruhe, Hagi in Barcelona, Dumitrescu bei den Tottenham Hotspurs, wo überraschenderweise auch Jürgen Klinsmann anheuerte. Der wird sich bei seinen ersten Auftritten in englischen Stadien mächtig wundern, denn während er in aller Welt als äußerst sympathischer Bursche gilt, wurde er ausgerechnet in England zum „verhaßtesten Spieler der WM“ (Observer).

Wenn die Engländer, außer gutem Essen, etwas hassen, dann das, was sie als „diving“ bezeichnen. Und der Obertaucher, sprich: Schwalbenkönig, ist für sie Jürgen Klinsmann, dessen südländische Theatralik sie fast so zur Weißglut treibt wie Maradonas antibritisches Händchen. Ausgiebig wurde während der WM über Klinsmanns Flugversuche hergezogen, und das britische Fernsehen zeigte genüßlich Zeitlupenstudien seiner gesammelten Elfmeterschindungs-Versuche. „Stuka“ tauften sie ihn in gewohnter „Gutter Press“-Manier, „deutsches U-Boot“, „Air Klinsmann“ oder den „größten Schwindler des Weltfußballs“. Als erklärter Freund der Umwelt ziehe es Klinsmann offenbar vor, über den Rasen zu fliegen, statt ihn mit seinen Stiefeln zu belasten, höhnte der Observer.

Nie hätten sie geglaubt, daß dieser Unhold einst ihre Stadien unsicher machen könnte, selbst die Tottenham-Fans mußten zunächst schwer schlucken, als sie von der Verpflichtung Klinsmanns hörten, der zudem noch der bestbezahlte Fußballprofi in englischen Landen sein soll. Nicht umsonst gilt der schwäbische Bäckerssohn als einer der gewieftesten Verhandler der Szene, er war der einzige Fußballer, der bei Inter Mailand jemals eine Stammspielerklausel in seinem Vertrag hatte.

Schiedsrichter Keith Hackett sagte dem Deutschen schwere Zeiten bei Referees und Publikum voraus, und Tottenhams Manager Osvaldo Ardiles fühlte sich bemüßigt, eine Lanze für den Leumund seiner Neuerwerbung zu brechen: „Manchmal kann ein extrem talentierter Spieler von Spielern fertiggemacht werden, die nicht mal ihre Stiefel schnüren können. Manchmal muß er einen Schutz gegen das Foulspiel finden.“ Es sei „eine große Herausforderung“ für ihn, in der englischen Premier League zu spielen, sagte Jürgen Klinsmann glücksstrahlend nach dem Vertragsabschluß mit Hotspurs-Boß Alan Sugar. Inwischen dürfte ihm langsam aufgehen, daß dieser Satz diesmal mehr als nur die übliche Floskel war.

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