Der Pfuscher

Silvio Berlusconis Wirtschaftspolitik ist ein einziges Desaster / Die Privatisierung wird verschleppt  ■ Aus Rom Werner Raith

Daß Italiens Regierung politisch seit Wochen nicht gerade eine glückliche Hand hat, dürfte sich herumgesprochen haben. Daß es wirtschaftlich auch nicht besser steht, erweist sich in diesen Tagen – von „Pfusch“ bis „Dilettantismus“ reichen die Vorwürfe der Unternehmerverbände und Wirtschaftsforschungsinstitute: verunglückte Dekrete, Sparmaßnahmen an Stellen, wo nicht mehr gespart werden kann, etwa im Gesundheitswesen, das nicht existiert, oder in der Altersvorsorge; eine endlose Reihe von Schaufenster-Erlassen, die durch keinerlei Finanzmittel gedeckt sind.

Hundert Tage ist die neue Administration im Amt. Geradezu „lehrbuchhaft“ sei sie in dieser Zeit nahezu jedes Ziel von der falschen Seite her angegangen, stellt das Wirtschaftsblatt Il sole 24 ore fest. So soll der „Condono edilizio“, eine Art Bauamnestie – bei der sich Sünder selbst anzeigen sollen, um nach einer Bußzahlung ihr illegal hingestelltes Häuschen oder ihre vom Plan abweichende Fabrik legalisiert zu bekommen –, umgerechnet an die 30 Milliarden Mark in die Kassen bringen. Doch was Berlusconi nicht sieht oder verschweigt: Für jedes auf einen sauren Acker gestellte Gebäude, das legalisiert wird, übernimmt der Staat die Verpflichtung zur Erschließung – Elektroanschlüsse, Telefonleitungen, Wasserzuführung und Abwasserbeseitigung sind herzustellen. Wirtschaftsfachleute rechnen hoch, daß ungefähr das Dreifache der Einnahmen dafür draufgeht – falls diese Einnahmen überhaupt eintrudeln. Vor neun Jahren hatte die Regierung von Berlusconis Busenfreund Craxi ebenfalls mit einem „Condono edilizio“ den Haushalt zu sanieren versucht: am Ende war nicht einmal ein Zehntel der veranschlagten Einnahmen zu verzeichnen, weil die Schwarzbauer es lieber auf eine Entdeckung ankommen lassen, als Buße zu bezahlen.

Auch die mit großem Pomp angekündigte Industrieförderung erweist sich als Augenwischerei. Um seinen unternehmerischen Intimfeind Gianni Agnelli wegen unterlassener Hilfestellung bei der Wahl zu bestrafen, hat Berlusconi eigenhändig die bereits angekündigte Steuererleichterung für umweltfreundliche Autos gestrichen und danach versucht, mit allerlei Kleinkleckserei ein Herz für Kleinunternehmer zu zeigen: Wer einen Betrieb aufmacht und bis zu fünfzehn Angestellte beschäftigt, ist künftig kaum mehr an Kündigungsfristen gebunden (Stichwort „Flexibilität“), Kooperativen bekommen Nachlässe auf die Körperschaftssteuer, und wer sein Unternehmen weiterwursteln läßt, obwohl es schon weit in den roten Zahlen steckt, kann sich kurzfristige Kredite besorgen. Der Effekt ist geradezu absurd. Während Fiat mit seinem „Punto“ so starke Nachfrage einfährt, daß einige Werke die sommerlichen Betriebsferien verkürzen mußten, nimmt kaum jemand die anderen Angebote wahr. Was weniger an den Kündigungsgesetzen liegt, als daran, daß niemand so recht weiß, was er denn in einem neuen Betrieb produzieren soll. Die Kredite für Konkursverzögerung dagegen werden ausgeschöpft und haben dazu geführt, daß dieses Jahr erstmals weniger Firmen dicht- als aufmachen. Weil damit aber allenfalls Altschulden bezahlt, aber keine Investitionen getätigt werden, schlagen die staatlich garantierten Kredite bei der endgültigen Pleite voll auf die Staatskasse zurück.

Die aber ist längst leer. Auch die Privatisierung, die Berlusconi besonders zu beschleunigen versprach, kommt nicht voran. Im Gegenteil. Wie der Wirtschaftsjournalist Massimo Riva analysiert, hat die Regierung die Privatisierungserlöse von erwarteten 80.000 Milliarden Lire (umgerechnet 80 Milliarden Mark) auf 30 Milliarden herunterkorrigiert und dann auf drei Jahre gestreckt. Jetzt ist auch von dieser Frist nicht mehr die Rede. Dafür ernennen die neuen Politherrscher in den Staatsbetrieben ganz wie zu alten Zeiten ihre Leute zu Vorständen und Generalmanagern, die sich dann gegen jede Vorherrschaft privater Investoren stemmen.

Die Mafia lacht wieder, der Staat bezahlt

„Eine glatte Umkehrung des Versprechens“, schreibt Riva. Kein Wunder, daß nach Umfragen im Unternehmerverband inzwischen nur noch ein Befragter von zehn Zutrauen zu Berlusconi hat – vor der Wahl waren es drei, nach der Regierungsbildung gar sechs gewesen. Ausländische Anleger wurden schon lange nicht mehr gesichtet, die Lira sinkt weiter ab.

Zur besonderen Lachnummer geriet freilich das als Kernstück der neuen Wirtschaftspolitik ausgegebene Dekret zur Freigabe blockierter öffentlicher Aufträge. Die waren im Zuge des Kampfes gegen die Mafia von einer Unbedenklichkeitsbescheinung abhängig gemacht worden: Keine Firma durfte mehr öffentliche Aufträge bekommen, deren Eigner oder Manager (sowie deren Verwandte bis ins zweite Glied) in ein Strafverfahren wegen mafioser oder camorristischer Bandenbildung verwickelt waren. Mit der sofortigen Freigabe der wegen noch nicht abgeschlossener Überprüfung eingefrorenen Aufträge wollte Berlusconi auf einen Schlag mehrere Milliarden Mark in die Wirtschaft fließen lassen und sah damit Zehntausende Arbeitsplätze garantiert.

Bedankt hat sich dafür vor allem die Mafia – sie sackt nun wie in alten Zeiten die Aufträge ein und vergibt die Ausführung zu miserabelsten Bedingungen an Subunternehmen. Die mischen dann viel, viel Sand in den Zement und stellen Bauten hin, die schon vor Fertigstellung wieder zusammenkrachen. In vielen Fällen bleibt es beim Rohbau, weil die Mafia- Scheinfirma schnell Konkurs anmeldet – die überwiesenen Gelder sind verschwunden. Doch der Clou kommt noch, wie süffisant das Magazin L'Espresso anmerkt: „Da diese Aufträge seit Jahren schmoren, ohne vergeben zu werden, hat man die dafür nötigen Summen aus den Haushalten gestrichen.“ Berlusconi muß nun wohl oder übel auch damit den Haushalt belasten – woher er das Geld nehmen will, weiß niemand.

Bei „soviel Pfusch“, so L'Espresso weiter, „wundert es einen natürlich auch nicht mehr, wenn just der Regierungschef, der soviel von neuen Arbeitsplätzen spricht, selber das Gegenteil tut. Mit böser Akribie listen die Blattmacher mit Hilfe der letzten von Berlusconi unterzeichneten Bilanz auf, daß die zur Fininvest, der Super-Holding des Regierungschefs, gehörenden Firmen innerhalb der letzten zwölf Monate 1.356 Personen entlassen haben – gut sechs Prozent der Gesamtbelegschaft.