Rügen

■ Betr.: „Zimmer 9.847 ist noch frei“, taz vom 22.7.94

Ich beglückwünsche Sie zu dem gelungenen und gut recherchierten Artikel, der dennoch in einigen Passagen Widerspruch provoziert, weil er zum Teil von falschen Voraussetzungen ausgeht und deshalb – die verständlichen Ängste, die mit der Zukunft von Prora verbunden sind, überbewertend – die mit der Entwicklung der Liegenschaft verbundenen Chancen außer Acht läßt. Denn Prora bietet in der Tat einmalige Gelegenheit, zum wirtschaftlichen Katalysator einer ganzen Region zu werden, wenn – und das ist unabdingbare Voraussetzung – verantwortlich mit dem Baukörper und seiner Geschichte und dem Gut „Umwelt“ als dem eigentlichen Kapital Rügens umgegangen sowie den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Insel Rechnung getragen wird.

Um dieses zu gewährleisten, hat sich die Bundesvermögensverwaltung schon sehr frühzeitig mit allen beteiligten Behörden (Gemeinde Binz, Kreis Rügen, Land Mecklenburg-Vorpommern sowie Denkmal- und Naturschutz) in Verbindung gesetzt und mehrere Ämterkonferenzen zum Thema durchgeführt. Dabei bestand immer Einigkeit darüber, daß

– die „KdF-Gebäude“ (bei denen es sich zum Großteil nicht um Ruinen handelt, wie der Artikel suggeriert) erhalten werden (Denkmalschutz),

– die Nutzung der bestehenden Gebäude gegenüber möglichen Neubauten eindeutig den Vorrang haben (Umwelt- und Naturschutz),

– keine Monostruktur mit Massentourismus entstehen darf (eine Bettenburg mit 10.000 Gästezimmern wäre in der Tat eine Horrorvorstellung), sondern daß eine ausgewogene Mischnutzung stattfinden soll (Wohnungen, Tourismus, Schulung, Reha-Klinik, nicht störendes Gewerbe),

– der Individualverkehr zugunsten öffentlicher Verkehrsmittel einzuschränken ist (Prora verfügt über einen IC-Anschluß) – es wird mit Sicherheit keine 15.000 Parkplätze geben,

– bei der Auswahl eines möglichen Käufers, was dessen Seriosität, Integrität und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit anbelangt, besondere Sorgfalt zu verwenden ist, und daß sichergestellt werden muß, daß ein Käufer nach Vertragsabschluß den behördlichen Auflagen Rechnung trägt: dies konnte geschehen durch entsprechende vertragliche Bindungen und/oder dadurch, daß dem Investor ein Gremium zur Seite gestellt wird, das als Bindeglied zu den Trägern öffentlicher Belange fungiert.

Die Ausmaße des Objekts Prora, die in dem Artikel sehr plastisch und drastisch geschildert werden, gebieten es naturgemäß, auch hinsichtlich der künftigen Nutzung in entsprechenden Größenordnungen zu denken und zu planen. „Wahnsinnsideen“, die Prora nach Ansicht von Frau Schießl auch heute noch „magisch anziehen“, sind es allerdings gerade nicht, die hier verwirklicht werden sollen. Es geht darum, in Prora einen wirtschaftlich lebensfähigen Organismus zu schaffen, der sich auf die Insel Rügen nicht negativ, sondern im Gegenteil zu ihrem Vorteil auswirkt. Darüber, daß dies gelingen kann und gelingen muß, besteht allgemein Einvernehmen. Andererseits müssen die Befürchtungen und Ängste, die in dem Artikel geäußert werden, natürlich ernst genommen werden, und sie werden auch ernst genommen.

Es bleibt also – wie so oft – die Frage nach dem rechten Weg. Der Bund hat sich in Abstimmung mit den übrigen Gebietskörperschaften entschlossen, die Liegenschaft öffentlich zum Verkauf auszuschreiben, um auf diese Weise mögliche Investoren anzusprechen. Mit diesem Verfahren verbindet sich in der Tat die Hoffnung, möglichst schnell privatwirtschaftliche Kräfte freizusetzen, die allein in der Lage sind, Prora aus seinem „Dornröschenschlaf“ zu wecken. Der Ruf nach dem finanziellen Engagement des Bundes und des Landes, also letztlich des Steuerzahlers, bei der Entwicklung von Prora ist ebenso beliebt wie untauglich; angesichts der Finanzknappheit der öffentlichen Haushalte ist dieser Gedanke pure Illusion. Hinzu kommt, daß eine Zurückstellung des Verkaufs die Gefahr in sich birgt, daß nicht nur wertvolle Zeit für Prora und damit für Rügen verloren wird, sondern daß sich letztlich – wenn die Liegenschaft weiter heruntergekommen ist und die gegenwärtig noch sprudelnden „Fördermittelquellen“ versiegt sind – überhaupt kein Interessent mehr findet, der bereit wäre, die immens hohen Kosten zu investieren. Die entscheidende Frage ist also nicht „Verkauf, ja oder nein?“, sondern: „Wie kann ein Verkauf verantwortungsvoll durchgeführt werden?“ – An der Antwort auf diese Frage arbeitet die Bundesvermögensverwaltung intensiv und in enger Abstimmung mit den übrigen Trägern öffentlicher Belange. Raymund Karg,

Oberfinanzdirektion Rostock