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Sprach der Rabe: Nimmermehr

Brandon Lee, Sohn von Karate-Bruce, wurde auf dem Set von „The Crow“ erschossen. Recht gotisch das. Warum starb Shelly?  ■ Von Mariam Niroumand

In finsterer Nacht platzt Friedhofserde auf wie ein Maulwurfshügel. Ein nasser Halbnackter gräbt sich, von einer Krähe beäugt, aus der Tiefe heraus. Es blitzt hinter einer C.-D.- Friedrich beschämenden Ruine, der bleiche Mann stolpert auf die Stadt zu... So werden Terminatoren geboren: eine vaterlose Angelegenheit zwischen Mutter Natur, Mensch und einem Auftrag. Die Geburt des Racheengels aus dem Geist der Bruderhorde. In Alex Proyas „The Crow“ kommt der Rock-Mann Eric Draven (und worauf reimt sich Draven? Jaa! The Raven! „Driven“ soll man wohl auch hören) zurück, um Vergewaltigung und Ermordung seiner Verlobten Shelly zu rächen. Die Krähe hat ihm 48 Stunden Zeit gegeben.

Rimbaud, Voltaire und irgendwas aus eigener Feder rezitierend („In the city where angels fear to hover and devils come to croon, the sex of the night lets down her black narcotic hair under a yellow opium moon“), streift Eric im engen Lederoutfit und langen Mascara-Streifen im Gesicht durch die Stadt und sucht heim. Grell durchzucken ihn, MTV-Style, die Bilder der Mordnacht: Shelly im weißen Negligé, ihre Hauskatze, die Kirchturmuhr, plötzlich steht eine Horde halb grungiger, halb rappender Kerls in der Tür; Messer werden gewetzt, Negligés aufgerissen, Hosen aufgeknöpft, der Geifer läuft aus zahnlosen Mündern, Soldateska-Gelächter, schließlich Erics Fenstersturz in den Tod, aus dem er jetzt wiedergekommen ist.

Unglaublich passend lag über der Produktion dieses Films ein Schatten, für den der romantische Dichter John Keats ein Ohr gegeben hätte. Es fängt mit der Vorlage an: Der Film ist die wortgetreue und stilistisch absolut wasserdichte Verfilmung des englischen Kult- Comix „The Crow“ von J. O'Barr, der ihn malte, nachdem seine Freundin bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Hauptdarsteller Brandon Lee nun, Filius des unter ebenfalls einigermaßen tragischen Umständen ums Leben gekommenen Kung-Fu-Meisters Bruce Lee, wurde auf dem Set in North Carolina während der Dreharbeiten erschossen, weil die Patronenattrappen, die bereits in einer Szene vorher benutzt worden waren, zuviel Schießpulver enthielten für die kurze Distanz. Lee hatte ausgerechnet mit diesem Film aus dem Schmalspur-Actionmilieu herauskommen wollen, in das er sich, mittelprächtiger Schauspieler, der er nun einmal war, mit „Rapid Fire“ oder „Showdown in Little Tokyo“ hineinbugsiert hatte. Das ist ihm nun ein für allemal gelungen.

Kurz vor seinem Tod lief ein 27jähriger Kulissenbauer in ein Starkstromkabel, ein Wagen mit Equipment ging in Flammen auf; ein Skulpturenbauer lief Amok und fuhr mit dem Wagen ins Maskenlager. Zwei Wochen später verwüstete ein Schneesturm die Kulissen (die übrigens schön sind, sehr à la Gotham City, eine Dachlandschaft wie geschaffen für Krähen). Die Produktionsfirma mit dem aparten Namen „Crow Vision“ hat entsprechend 23 Millionen Dollar Mehrausgaben zu verzeichnen. Was teuer kam, war vor allem die computergenerierte Reanimation des Schauspielers Brandon Lee durch die Firma Dreamquest, die ohnehin für die Special Effects von 44 Szenen am Set war. Sie kopierten Lees Gesicht für eine bläulich ausgeleuchtete Innenaufnahme von einer verregneten Straßenszene. Dieses Gesicht wurde auf den Körper des Doubles kopiert, die Lichtverhältnisse angepaßt. Ergebnis: Nischt mehr zu sehen. Das hierfür entwickelte Software- Programm wird jetzt schon als Revolution der Post-Production-Phase ausgerufen; aber nicht einmal Baudrillard muß sich aufplustern: Selbst der Firmenchef Mark Galvin behauptet nicht, Schauspieler ersetzen zu können. Der Zeitschrift Cinema gegenüber räumte er ein: „Nicht die Darsteller werden ausgewechselt, nur die Schauplätze, an denen sie agieren.“

Dieses Produktionsnotizen-Geplapper, das den Film inzwischen Box-Office-mäßig mehr beflügelt als der kleine Modellmotor in der Krähe, übertont den Hauch von echtem Kummer, der auch in „The Crow“ ist. Das verlaufene Mascara, der Jim-Morrison-Gang des Protagonisten, mit seinen Jesus- Wunden am Körper und den beiden Malen in den Handinnenflächen ist er auch einer von diesen gequälten Nicht-zu-Ende-Geborenen. Er muß seine Verlobte quasi meucheln lassen, weil er sie eben nicht heiraten will; je größer die Schuld, desto monströser die Monster, die ihr das angetan haben. Die Messer, die er in diese Kerls bohrt, sind auch kleine Liebesgrüße aus der Lederhose von einem, der eben lieber auf dem Dach sitzen und „The Cure“ nachspielen möchte als nun partout mit dieser Laura-Ashley-Schönheit das Badezimmer zu weißen. Im Comic ist dieser Teil, der Horror des jungen Mannes vor der Ehe, verblüffend explizit. Lange nach ihrem Tod, als tief trauernder Witwer, sieht der Comic-Held im Flashback die Szene, als sie zusammen auf den Malerleitern stehen und sie wieder von Heirat spricht. „Marriage, marriage, marriage: thats all I ever hear“, hat er ihr damals noch fast unwirsch entgegnet. Solche Art von Offenheit ist doch einigermaßen verblüffend für jemanden, der dann wegen des realen Todes der Freundin gar keine Chance mehr hatte, ambivalent zu sein.

Ein bißchen grüßt hier Edward Scissorhands herüber (deutlich auch im Alice-Cooper-Make-up von Brandon), der mit seinen Händen ja auch True Romance spielen wollte und dabei mehr oder weniger aparte und religiös verwertbare Schnittwunden hinterließ. „The Crow“ ist der Film, der entstanden wäre, wenn die Avon-Beraterin den kleinen Edward nicht aus seinem Turmverließ geholt hätte. Für seinesgleichen braucht es diesen realen Tod der Freundin gar nicht. Die Gothic Novel tut's auch.

Schon interessant zu sehen, wie die Filme dieses Genres, also die Teenage-Rampage-Splatter-Romance, miteinander vernetzt sind. Sowohl „True Romance“ als auch dessen hervorragendes Vorbild „Badlands“ leben von der heißblütigen Vorstellung, was eigentlich passiert wäre, wenn James Dean hätte wiederkommen können. Daß man solchermaßen von den Neunzigern in die Fünfziger zurückreicht, unter Umgehung aller dazwischen gemachten Erfahrungen von traubenhafteren, weniger vereinzelten Lebensformen, erklärt auch, warum die Altersgenossen immer so verdammt schlecht wegkommen in diesen Filmen. In „The Crow“ sind die größten Ekelpakete ein Voodoo-Typ mit Namen Top Dollar, der gut aus der Rockoper „Tommy“ hätte entsprungen sein können (eine entsprechende Acid-Queen hat er dabei), und Funboy, ein langhaariger blonder Junkie, der es mit der Mutter von der kleinen Sowieso treibt. An ihnen sieht man, was aus denen geworden ist, die versucht haben, Woodstock zu verewigen, dieser Bruderhorde. Eric „die Krähe“ Draven ermahnt die Mutter von der kleinen Sowieso schließlich „du hast eine Tochter, die auf dich wartet“, und drückt ihr das Heroin wieder aus den Venen, nachdem er Funboy erledigt hat. Solchermaßen des Sixties-Personals entledigt, wird die Sache wieder zu dem, was sie sein soll: eine Familienangelegenheit.

„The Crow“. Regie: Alex Proyas, Musik: Graeme Revell. Mit: Brandon Lee, Ernie Hudson, Rochelle Davis u.a. USA, 100 Min.

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