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Gnadenfrist für Hüttendorf Gorleben

Niedersachsens Umweltministerin Griefahn ließ Töpfers Ultimatum verstreichen / Polizei kann den Castor-Transport zum Atomzwischenlager Gorleben noch immer nicht schützen  ■ Von Lorenz Redicker

Berlin (taz) – Der Atomstaat meldet sich zurück. Unbeirrt und kompromißlos hielten gestern sowohl der Landkreis Lüchow-Dannenberg als auch Umweltminister Klaus Töpfer an ihren Ultimaten gegen Atomkraftgegner außerhalb und innerhalb der Landesregierung fest.

Es handelt sich vorerst um Wort- und Papiergefechte. Während die Behörde in Lüchow auf den Abriß des Hüttendorfes Castornix auf dem Gelände des Grafen Andreas von Bernstorff nahe dem Atomzwischenlager Gorleben bis Mittwoch Mitternacht beharrte, gab das Verwaltungsgericht Lüneburg der Klage der Bernstorff-Anwälte gegen den Sofortvollzug dieser Anordnung recht. Die Atomkraftgegner haben mit richterlicher Erlaubnis 14 Tage Zeit, daß Hüttendorf abzubauen.

Auch Minister Töpfer blieb erfolglos: Ministerin Monika Griefahn ging nicht auf sein Verlangen ein, bis gestern 15 Uhr die ihr vorliegenden Protokolle über die Radioaktivität des Castor-Behälters abzuzeichnen. Eine Formalität, die in Hannover überaus zeitraubend gründlich befolgt wird. Wie Töpfer hatte übrigens auch die Brennelementelager Gorleben GmbH (BLG), Betreiberin des Zwischenlagers, in einem „dreisten Brief“, so eine Sprecherin, um Zustimmung zum Castor-Transport gebeten – offenbar ohne auf die atomrechtlich erforderliche Unterschrift der Ministerin Griefahn zu warten.

Im Streit um das Hüttendorf zeigte sich die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg kompromißbereit: Doch auf ihr Angebot: „Wir bauen ab, brauchen aber Zeit“, wollte der Landkreis nicht eingehen. Dennoch hat die BI einen der Initiatoren in das Dorf geschickt, der gestern um 16 Uhr mit dem Abbau der Hütten begann.

Einen „wohlüberlegten Rückzieher“ nannte die BI diesen Schritt. Damit wolle man sich auch vor den Grundeigentümer Graf Bernstorff stellen, betonte BI- Sprecherin Marianne Fritzen, die die Verfügung des Landkreises eine „Provokation“ nannte. Dem Grafen ist ein Ordnungsgeld in Höhe von 25.000 Mark angedroht worden, sollte er der Abrißverfügung des Landkreises nicht nachkommen. Hinzu kämen die Abrißkosten, die in der BI auf 150.000 bis 200.000 Mark geschätzt werden.

Die BI klagt, daß mit Graf Bernstorff jemand in Kreuzfeuer genommen werde, der als Kläger wegen der Salzrechte großes Gewicht habe. Die Atomkraftgegner wollen weiter um den Erhalt des Hüttendorfes kämpfen, sich aber nicht im Geplänkel um die Hütten von den wichtigen Entscheidungen in Bonn und Hannover ablenken lassen, hieß es in einer Presseerklärung.

Die angedrohten Maßnahmen gegen den Grafen Bernstorff seien unangemessen, hieß es nun im Urteil des Verwaltungsgerichtes Lüneburg. Der Sofortvollzug der Verfügung des Landkreises wurde aufgehoben. „Damit ist die gewünschte Deeskalation erreicht“, freute sich Gunnar Harms aus der Anwaltskanzlei, die den Grafen vertritt.

Aus Protest gegen die starre Haltung des Landkreises hatten Atomkraftgegner am Mittag eine Hütte vor dem Kreishaus in Lüchow errichtet. Mit der Parole „Hüttendorf statt Poggendorf“ wollte sie auch auf das Zusammenspiel zwischen der Betreibergesellschaft BLG sowie dem Landkreis (mit Oberkreisdirektor Poggendorf an der Spitze) und der Bezirksregierung hinweisen.

Warum die Behörde in Lüchow-Dannenberg die Situation offenbar eskalieren lassen will, bleibt unklar. Der stellvertretende Oberkreisdirektor Hans-Christian Ringier hat als Grund für die unnachgiebige Haltung Zweifel an der Zuverlässigkeit der BI angemeldet.

Auch das Umweltministerium in Hannover setzt auf Zeit. Das Ultimatum aus Bonn, nach dem bis gestern 15 Uhr ein Entscheid über die Zustimmung zum Castor-Transport gefallen sein sollte, ließ Ministerin Monika Griefahn verstreichen. „Wir lassen uns nicht hetzen. Wir brauchen Zeit, die Unterlagen zu prüfen. Auf die Aussagen der Betreiber wollen wir uns dabei nicht verlassen“, rechtfertigte Sprecherin Eva Maria Rexing das Vorgehen. Im übrigen wiederholte sie die Meinung der Ministerin: Unabhängig von allen atomrechtlichen Zweifeln werde der Transport abgelehnt, weil dafür kein Bedarf bestehe.

Ein Sprecher des niedersächsischen Innenministeriums bekräftigte gestern auf Anfrage der taz erneut, daß man die Sicherheit des Castor-Transportes während der Sommerferien nicht gewährleisten könne, dieser mithin nicht stattfinden dürfe. Die Haltung des Landkreises und der Bezirksregierung zum Abriß des Hüttendorfes wollte der Sprecher nicht kommentieren: „Das fällt nicht in unseren Zuständigkeitsbereich.“

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