: Hamburg als Ökologiehochburg
■ taz-Serie 4. Teil: Beata Huke-Schuberts Vision einer verwirklichten Vision im Jahr 2010
Heute ist Montag, der 17. Juli 2010. Ich bin 56 Jahre alt, Architektin, und mit dem Fahrrad auf dem Wege zu einer meiner Baustellen nach Hamburg-Ottensen. Die hier geplanten Gebäude einer Kleingenossenschaft sind weitgehend fertiggestellt, es fehlen nur noch die Grün- und Freiflächenarbeiten. Die BewohnerInnen (insgesamt 45 Personen mit Kindern) führen die Dach- und Fassadenbegrünung sowie die Gartengestaltung und den Wasserbrunnen in Eigenarbeit aus. Wir treffen uns in dem großzügigen Gemeinschaftsraum, der im Erdgeschoß liegt, einen direkten Zugang zum Garten hat und über eine offene Küche verfügt. Nebenan ist ein Gästeapartment, welches von der Hausgemeinschaft vergeben und verwaltet wird, angeordnet.
Eine Großstadt als Ferienparadies
Die Kinder haben einen großen Spiel- und Bastelraum, den sie selbst gestalten und verwalten. Es gibt eine kleine Werkstatt, die die Nachbarn der angrenzenden Häuser auch mitbenutzen. Ein großer Raum für Fahrräder und Kinderwagen und ein Raum für die Genossenschaft, in dem zwei Frauen abwechselnd die Verwaltung der Wohnungen übernehmen, ist auch vorhanden. Das gesamte Erdgeschoß ist für gemeinschaftliche Nutzungen vorgesehen. Im Jahr 1994 wären dieses noch alle benötigten Flächen für die Garagenstellplätze gewesen. Für 12 Wohneinheiten mußten damals 10 Stellplätze nachgewiesen werden, die eine Mindestfläche von 262,5 qm benötigten.
Es gibt Tee und Ökokekse, und wir besprechen gemeinsam die Arbeitsabfolge, die Anordnung der Spielgeräte, den Aufbau der Terrassenfläche, die Wegeführung, die Ummauerung des Brunnen, die Lage des Grillplatzes und des Obst- und Gemüsegartens. Alle BewohnerInnen beteiligen sich bei der Eigenarbeit, auch die Kinder wollen dabeisein und mithelfen.
Auf dem Rückweg erinnere ich mich daran, daß 1994 im Rahmen des Hamburger Architektursom-mers eine Veranstaltung zum Stadtdialog stattfand, bei der Planer und Politiker von der Leitidee „Hamburg als grüne Metropole“ sehr fasziniert waren. Damals entstanden Stadtentwicklungssze-narien zu einem Modell der „Expansion“ und einem der „Integration“ als Grundlage für einen neuen Flächennutzungsplan und das Stadtentwicklungskonzept für Hamburg. Eine Kritik von Experten an den Modellen war damals: Wo sind die visionären Ansätze dieser Konzepte?
Die Metropole als Fußgängerstadt
Im Jahre 2010 ist die Vision von „Hamburg als grüner Metopole“ nun weitgehend Wirklichkeit geworden. Aus aller Welt pilgern Menschen nach Hamburg, um die Ökologiehochburg zu erleben und zu bewundern. Die Fernzüge, die im Hauptbahnhof einlaufen, sind überfüllt, Hotelbetten sind meistens ausgebucht und kaum zu bekommen. Viele Hausgemeinschaften stellen ihre Gästezimmer zur Verfügung, und die Bewohnergruppen sind stolz darauf, den Gästen eine Stadt präsentieren zu können, wo die Gesundheit und Wohn- und Lebensqualität aller BürgerInnen – insbesondere die der Kinder – im Vordergrund steht. Die Besucher erleben eine Großstadt, die einem Ferienparadies gleicht und kommen im Urlaub zum Baden in Elbe und Alster mit weißen Sandstränden, auch im ehemaligen Hafengebiet. An den Landungsbrücken stehen Umkleidekabinen, und dort ist auch ein Liegestuhlverleih vorhanden.
Die Gebäude an der Hafenstraße sind modernisiert worden, die Wohngruppe hat angrenzend noch einige Neubauten errichtet, in denen auch soziale Nutzungen untergebracht wurden. Vom Zentrum aus führen wunderschöne begrünte Alleen in die unterschiedlichen Stadtrandgebiete mit den verschiedensten Landschafts- und Naturerlebnissen. Fahrräder gibt es an jeder Ecke zu mieten. Im Stadtpark, Volkspark, an der Alster, auf dem Rathausmarkt, auf dem Kampnagelgelände, auf dem Spritzenplatz sind Zelte aufgebaut, in denen Kino, Theater und Musik für Jung und Alt angeboten werden. Das Programm ist so ausgewählt, daß für ganz unterschiedliche Bedürfnisse Angebote präsentiert werden. Alle diese Nutzungsmöglichkeiten werden nicht nur von den auswärtigen Gästen, sondern auch in großem Umfang von den QuartiersbewohnerInnen genutzt. Die Stadt ist einerseits geprägt durch Wohnbebauung, Gewerbe und Bürobebauung, die flußläufig erschlossen ist und andererseits durch großzügige Grünflächen mit einem dichten Netz an öffentlicher Nahversorgung durch U- und S-Bahn und Straßenbahnen. Straßen sind weitgehend zurückgebaut worden, es ist nur noch eine Minimalerschließung für den Autoverkehr vorgesehen. Private Autostellplätze werden nach der geänderten Bauverordnung von 2007 nicht mehr gefordert. Es entsteht nur noch eine geringe Anzahl von Stellplätzen der Hausgemeinschaften.
Sozialer Apparat Hausgemeinschaft
Heute spielen Kinder wieder auf der Straße. Die Menschen bestimmen und dominieren den Straßenraum. Die neugewonnenen Flächen durch den Straßenrückbau stehen für sozialen Wohnungsbau mit Gemeinschaftshäusern, Kindergärten, Waschhäusern, Kneipen, Cafés, Volksküchen sowie Treffpunkte für Jung und Alt, Arbeitsräume und kleine Werkstätten für Handwerker und ausreichend Freiflächen zum Spielen, Kommunizieren und Erholen zur Verfügung.
Für den sozialen Wohnungsbau gab es Vorläufer aus den Jahren 1990 bis 1994, die inzwischen ein weit verbreitetes Konzept darstellen. In Hamburg-Ottensen hatten sich Menschen zusammengefunden, die in vier Gruppen ihre Wohnsituation selbst in die Hand nehmen wollten. Sie gründeten eine Kleingenossenschaft „Ottenser Dreieck“ und bauten Wohnraum für 125 Menschen. Die vier Gruppen hatten sehr unterschiedliche Ansätze und Ziele für ihre Projekte: So wollten bei zwei dieser Gruppen nur Frauen mit Kindern zusammenleben, eine weitere Gruppe plante nachbarschaftliches Leben mit alleinlebenden Personen, Familien mit Kindern und Wohngemeinschaften und die vierte Gruppe hatte sich ökologische Schwerpunkte gesetzt (Niedrigenergiehaus).
1994 waren diese Projekte noch die Ausnahme im sozialen Wohnungsbau, heute, 2010, sind sie längst die Regel. Die über Jahre praktizierten Mieterbeteiligungs-modelle haben heute zu dem Ergebnis geführt, daß Vandalismus kaum mehr vorkommt. Die sozialen und kommunikativen Probleme werden vorwiegend von den Hausgemeinschaften aufgefangen, indem einzelne Mitglieder die Aufgabe der Betreuung übernehmen bzw. professionelle Beratungen hinzugezogen werden. Es sind Förderrichtlinien entstanden, die den sehr unterschiedlichen Wohnvorstellungen im Hinblick auf Wohnungsgröße, Wohnungszuschnitt, Einkommenssituation der Hausprojekte, Wohnungsbelegung etc. Rechnung tragen.
Nach diesen Ideen selbstbestimmt gemeinschaftlich bzw. nachbarschaftlich und ökologisch wohnen zu wollen, ohne daß einzelne sich wirtschaftlich am Hausbau bereichern, entstanden Projekte wie „Ottenser Dreieck“, „Unter einem Dach“, „Budenzauber“, „Villa Untergrund“, „Arche Nora“ (Frauen, die im Alter miteinander leben wollten), „Positiv Wohnen“ (Männer, die in einer Hausgemeinschaft wohnen wollen und zusätzlich Wohnungen für an AIDS erkrankte Männer einplanten), „Wohnträume“ (ein Verein, der für besonders benachteiligte Menschen Wohnungen baut und die Menschen, falls Bedarf besteht, auch betreut) und eine Vielzahl ähnlicher Projekte.
Mit meinen engagierten MitarbeiterInnen habe ich in meiner inzwischen 20jährigen Tätigkeit als Architektin viele dieser Wohnprojekte gebaut und wir sind nicht müde geworden, immer wieder auf die individuellen Wünsche und Vorstellungen der späteren BewohnerInnen einzugehen. Dies geschah in der Erkenntnis, daß die Wohnzufriedenheit von Menschen durch Selbstbestimmung und Selbstentscheidung wesentlich zu einem funktionierenden sozialen Zusammenleben im Quartier beiträgt.
Neben den selbstorganisierten Wohngruppenprojekten entstanden noch andere Nutzerbeteiligungsmodelle. Die traditionellen Genossenschaften wie z.B. der Altonaer Spar- und Bauverein, die vorwiegend öffentlich geförderten Wohnungsneubau betreiben, gingen dazu über, ihre Genossenschaftsmitglieder an der Planung ihrer Wohnungen zu beteiligen. So wurden zwei unterschiedliche Modelle entwickelt: Ein Teil der Bewohner-Innen wurde zu Beginn der Hochbauplanung an dem Entwurf des Gebäudes beteiligt. Eine weitere Gruppe konstitutierte sich nach Fertigstellung des Rohbaus und wurde bei der weiteren Ausgestaltung ihrer Wohnungen beteiligt. Bei beiden Gruppen lernen die Menschen ihre Nachbarn frühzeitig vor Einzug in das Haus kennen und können sich ihre Hausgemeinschaft selbst zusammenstellen. Auch diese beiden Modelle halfen, das soziale Zusammenleben von Menschen zu erleichtern und trugen zur höheren Wohnzufriedenheit bei.
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