: „Eine Frau mit Vergangenheit“
■ Gastspiel in Madame Lothars Travestie-Theater: Christina aus Amsterdam, eine hinreißende Zarah Leander
„Die beste Zarah Leander Europas. Bühne frei für: Christina aus Amsterdam!“ Im Travestie-Theater im Schnoor wird mit Klischees nicht gespart. Warum auch? Zu Beginn des einmonatigen Sommergastspiels der beim Stammpublikum beliebten Sängerin rauscht eine Gala-Premiere über die Bühne. Für August hat Madame Lothars Travestie-Theater, wo die engere Familieseit Jahren mit der gleichen Show unterhalten wird einen Gast eingeladen. Mit Christina, „aus Amsterdam“ die die letzten Jahre im Berliner Chez nous auftrat, ist eine Künstlerin aus einer anderen Liga eingeladen.
In der Hexenküche des Kellergewölbes wird bald nicht nur purer Sommerschweiß vergossen. Eiligst ist die knappe Luft von einer verwegenen Mischung aus Zigarettenrauch und schwülem Parfüm geschwängert. Dennoch, nach Natur und Abendkühle dürstet das Publikum nicht. An den Bistrotischchen und auf der Bühne herrscht wilde Entschlossenheit zur Inszenierung: The Show must go on. Madame Lothars hauseigene Show kocht nach dem Rezept: Viel Körpereinsatz, mehrere Pfund Make up und viertelstundenlange Versuche, mehr oder weniger schweinische Anekdoten zu erzählen. Hier an diesem Punkt des nun schon fortgeschrittenen Abendes ist der Wiedererkennungswert enorm.
Aber wie im richtigen Leben: Warten will gelernt sein. Warten wird belohnt. Der Vorhang öffnet sich und gemessenen Schrittes betritt eine stattliche Erscheinung die Bühne: Christina aus Amsterdam. Dominierte bislang ein süßlicher Cocktail aus Ibiza und Animateurskunst, dämmert jetzt noch einmal die Vorkriegszeit heran.
Hinter der Stimme, die sie bald zum Lied erhebt, meint man das Knacken der alten Schellackplatten zu hören. „Ich bin eine Frau mit Vergangenheit“ heißt ihr erster Song, ein Titel, der ihr auf den imposanten Körper geschrieben zu sein scheint. Und wenn es weiter heißt: „Ich hab viel erlebt, und nichts bereut“, glaubt man ihr das auf's Wort. Christina, die seit 27 Jahren auf der Bühne steht und ihre stimmliche Kraft auf den soliden Boden einer Ausbildung als Opern- und Konzertsängerin gründet, atmet das Pathos einer anderen Zeit. Damenhaft rundet sie das Bild durch graziöse Gesten und einen reizenden holländischen Akzent ab. Wenn sie mit ihrer tiefen, vollen Stimme, der die Zigarre, die sie in der Pause raucht, noch das gewisse Etwas zu geben weiß, Zarahs Klassiker „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“ einstimmt, dann löst sich das Rätsel des Erfolgs. Der Hintergrund, auf dem diese Lieder ihre Patina gewinnen, ist die Epoche des Zweiten Weltkriegs. Die Themen Versagung und Vergeblichkeit, Krieg und Tod gehören zu der Zeit, in der Zarah Leander ihre großen Erfolge als Ufa Star feierte.
Daß diesem Themenkomplex in der Community zu Zeiten von Aids neue, traurige Aktualität zugewachsen ist, zeigt sich erst bei der Zugabe. Zum Abschluß gibt Christina ein ganz klassisches Ave Maria aus ihrem Konzertprogramm, eine Gedenkminute für alle die Freunde, die nicht mehr unter uns sind. Susanne Raubold
Bis 27. August, täglich um 21.30Uhr außer Mo. u. Di. im Travestie-Theater im Schnoor.
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