Erleichterung über Auftauchen Nasrins

Freunde der bedrohten Schriftstellerin sind froh, daß sie Bangladesch nicht verlassen hat / Der ursprünglich auf gestern angesetzte Prozeßbeginn wurde verschoben  ■ Aus Neu-Delhi Bernard Imhasly

Einen Tag nachdem Taslima Nasrin gestern überraschend vor dem Obersten Gericht in Dhaka erschien, ist die Stimmung in der bangladeschischen Hauptstadt von Erleichterung geprägt. Informationsminister Huda, dessen Regierung Klage gegen die 32jährige Schriftstellerin erhoben hatte, weil sie „die religiösen Gefühle der Muslime“ verletzt habe, zeigte sich befriedigt. Jetzt könnten sich die Kontrahenten – Regierung und Schriftstellerin – im Gerichtssaal begegnen und die Kampagne von Verdächtigungen gegen die Regierung sei damit nun hoffentlich beendet, sagte er. Freunde von Taslima Nasrin schienen erleichtert, daß sich die zahlreichen Gerüchte über eine Flucht ins Ausland nicht bewahrheitet hatten: „Es war eine weise Entscheidung“, sagte Ayesha Khanam, Generalsekretärin einer Frauenrechtsorganisation.

Selbst der Generalsekretär der fundamentalistischen Jamaat- Islami, Nizami, erklärte, seine Partei sei froh, daß sich Nasrin dem Gericht gestellt hatte: „Es liegt nun am Gericht, Taslima gemäß den Gesetzen zu verurteilen. Wir haben nicht die Absicht, uns darin einzumischen.“ Die konziliante Äußerung des Jamaat-Sprechers ist nicht zuletzt eine Reaktion auf die heftige internationale Kritik, die ihr vorgeworfen hatte, eine religiöse Paralleljustiz zu verfolgen. Sie muß wohl auch als taktisches Manöver gedeutet werden, mit dem sich die Kaderpartei von den schwärmerischen religiösen Gruppierungen der „Fatwa“-Parteien zu distanzieren versucht, die den Mordaufruf gegen Taslima Nasrin ausgestoßen hatten.

Unter den Anhängern Nasrins sind die Meinungen über die erwartete Fairness des Prozesses gespalten: Ayesha Khanam erblickt in der Person des Verteidigers der Schriftstellerin, Dr. Kamal Hossain, eine Garantie dafür, daß die Regierung es nicht wagen werde, das Gericht zu manipulieren. Hossain ist ein international angesehener Jurist, Kampfgefährte des Staatsgründers Mujibur Rahman und ehemaliger Außenminister des Landes. Freunde der Schriftstellerin teilen zwar diese Einschätzung, sehen aber einen politischen Prozeß voraus: „Das Gericht wird genau das tun, was die Regierung von ihm erwartet“, lautet die Meinung einer Professorin der Universität Dhaka, Meghna Guhathakurta. Wie diese Erwartungen aussehen, ist vorläufig noch unklar, um so mehr, als im Kabinett zahlreiche ideologische Strömungen vertreten sind, die von der schwachen Premierministerin Khaleda Zia nur wenig kontrolliert werden. Das bisherige Verhalten deutet darauf hin, daß die Regierung ein mildes, aber doch eindeutiges Gerichtsurteil anstrebt, unabhängig davon, ob Nasrin beim Prozeß anwesend ist oder nicht. Aber sie läuft das Risiko, daß Frau Nasrin, falls sie den zunächst auf unbestimmte Zeit verschobenen Verhandlungen persönlich zu folgen beschließt, diese in ein Tribunal über Fundamentalismus und Säkularismus verwandelt.

Anhänger der Schriftstellerin wie der Politologe B. K. Jahangir sind jedenfalls der Meinung, daß sie nicht ins Ausland gehen sollte: „Beide Seiten haben ihre Positionen klar abgesteckt. Es liegt nun an der Justiz des Landes, seine Unabhängigkeit unter Beweis zu stellen und dem Volk und der internationalen Öffentlichkeit zu zeigen, wo das Land steht.“Seite 10