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Zwischen Utopie und Verlangen

Aus der Zeit entwickeln, nicht ihr anpassen: Das Rüdersdorfer Zementwerk wird nach einer teilweisen Musealisierung der Industrieanlagen zur freien Kunstschule umgebaut  ■ Von Tomas Niederberghaus

Die Rüdersdorfer sprechen über ihre Monster. Vor wenigen Monaten drehte sich alles um das schäbige Wellblechgebäude mit den riesigen schwarzen Buchstaben. Ein Produkt aus dem Hause Deutsche Bundespost. Vor wenigen Wochen drehte sich dann alles um die rechten Ungeister, die in blankgewichsten (!) Stiefeln und mit kahlrasierten Schädeln im stalinistischen Kulturhaus der Stadt deutsches Liedgut sangen. Bürgermeister Wilfried Kroll (SPD) mußte mit ansehen, wie ein vermeintliches Gitarrenkonzert zu einem Neonazitreffen mutierte. Kroll rief um Hilfe, kein Schwein kam. Trotz der Dürre ist Gras darüber gewachsen. Und inzwischen sprechen die Rüdersdorfer wieder über das Zementwerk mit seinem imposanten Kohlenhaus: Maler, Videokünstler, Fotografen und Bildhauer haben sich zu einem Förderverein zusammengeschlossen und errichteten auf diesem gespenstisch anmutenden Gelände eine Kunstschule der anderen Art.

Auf dem gut zwei Hektar großen Areal erheben sich das Werk und der davorstehende Portalkran wie ein markiges Gesicht mit riesiger Nase. Drumherum gruppieren sich cremefarbene Kalkhaufen, ein ramponiertes Pumpenhaus und jede Menge Gerümpel. Nicht ganz zu Unrecht könnte man auch von Schrott sprechen. Das Ganze bettet sich in wild wucherndes Grün. Unkraut rankt lianengleich die Bäume hinauf. Doch dieses Gemisch aus Abbruchästhetik und Oase ist es, das die Künstler inspiriert. „Ein idealer Ort für eine Akademie“, sagt Ulla Walter, Malerin und Mitinitiatorin des Fördervereins Kunstschule Z1 e.V., „gleichzeitig ein Wechselbad zwischen Utopie und Wunsch.“

Doch auch die Gemeinde hat die Zeichen der Zeit erkannt. Anderthalb Jahre kann der Verein die Industriefläche zunächst kostenlos nutzen. Dem Image tut das nur gut: Rüdersdorf galt zu DDR-Zeiten als staubgeplagte Stadt. Zudem gab es außer dem traditionellen Bergfest und dem allzu deutschen Abend vor einigen Wochen bislang kaum Kultur. Wenn alles klappt, und das hängt von einem perfekt ausgeklügelten Nutzungsplan ab, erhalten die Kulturmenschen das Gelände für 66 Jahre auf Erbpacht. Ebenfalls kostenlos.

Das Leitmotiv der Kunstschule in spe heißt Vernetzen. Naturwissenschaften wie Archäologie sollen verstärkt in das Konzept eingebunden werden. „Gerade für Objektkünstler“, sagt Ulla Walter, „werden diese Grundlagen immer wichtiger“, arbeiten diese doch vielfach mit Fundstücken vor Ort. Auch aus diesem Grund könnte das Rüdersdorfer Projekt eine Alternative zu bestehenden Kunstakademien bieten. In- und ausländische Lehrkräfte sollen auf Honorarbasis arbeiten. Ulla Walter sagt: „Wer träge wird, kann gehen. Damit bleibt die Dynamik erhalten.“

Wichtig ist den Verantwortlichen, daß sich die Kulturstätte nicht der Zeit anpaßt, sondern sich aus der Zeit entwickelt. Eine Symbiose mit dem gegenüberliegenden Museumspark wird angestrebt. Dort locken die Industriedenkmäler bereits seit einigen Monaten die BesucherInnen: Architektonisch außerordentliche Konstruktionen von Karl Friedrich Schinkel oder Christian Friedrich Tieck. Etwa die 19türmige Schachtofenbatterie aus dem Jahre 1877. Wim Wenders diente sie als Drehort für den „Himmel über Berlin“. Bereits in den zwanziger Jahren tat sich die eigenwillige Landschaft als Kulisse für Filmemacher hervor: Für den „Tiger von Eschnapur“ beispielsweise und für „Das indische Grabmal“.

„Der Museumspark konserviert, die Kunstschule soll aktivieren“, sagt Ulla Walter. Eine Fähre wird die durch einen Kanal getrennten Projekte miteinander verbinden. Wenn Ulla Walter über das Gelände läuft, hat sie das pulsierende Kulturleben bereits klar vor Augen, die Konzepte sprudeln geradezu aus ihr heraus: Im Pumpenhaus ein Café, auf dem Kalksteinplateau ein Freilufttheater und im Kohlenhaus ein Konzert- und Performanceort. Räumliche und sachliche Gegebenheiten sollen die Künstler provozieren, sollen diese zur Integration ihrer Arbeiten zwingen. Gerade das Kohlenhaus ist die Herausforderung: Die Komposition aus Schrauben, Stahlträgern, Lüftungsrohren und Kabeln erinnert an Fritz Langs Schwarzweiß-Streifen „Metropolis“. Durch die milchigen Fenster mit den Schnappverschlüssen fällt das Licht auf zwei lastkraftwagengroße Walzen. Gelbe Schilder mit der Aufschrift „Ionische Strahlung“ sind Relikte der gefährlichen Maloche vergangener Tage.

Draußen, vor den Toren des Monsters: 16 ABM-Kräfte sanieren und rekultivieren das Gelände. Frauen fegen, Männer schippen und hacken mit Pickel und Spaten. Was sie von dem Projekt halten? „Wenn mal alles schön sauber ist und Toiletten da sind“, sagt eine 55jährige Arbeiterin, „ist das bestimmt interessant.“ Natürlich will sie, wenn es soweit ist, Veranstaltungen besuchen. Etwa das Stück „Maldoror“ des Berliner ORPHtheaters, das auf dem Kohlenplatz vor der 53 Meter langen Mauer aufgeführt wird (27. August). „Aber so richtig wohl wäre mir bei dem Besuch nicht“, fügt die Frau mit der kunterbunten Kittelschürze hinzu. Abends fürchtete sie sich vor den Rechtsextremisten. „Die sieht man neuerdings öfter.“ Auf derartige Phänomene sollen Künstler in Rüdersdorf reagieren. Ulla Walter sieht auch eine Chance für Berliner Künstler, in Rüdersdorf zu arbeiten. „Im Berliner Stadtzentrum gibt es ja kaum noch Platz“, sagt die 39jährige Malerin aus dem benachbarten Ort Schöneiche, „die Mieten für Ateliers sind teuer.“ Die Gemeinde Rüdersdorf hat dem Verein außerdem eine Schule kostenlos zur Verfügung gestellt. Mitten im Grünen, ein Platz für Ateliers. Nur Betriebskosten wie Strom und Wasser sollen die Künstler dort zahlen. Zwei Fotografen haben für die Operation „Zementwerk“ bereits Stipendien erhalten.

Trotz allem ist der Weg zum Ziel ein steiniger. Wie so oft hapert es an der finanziellen Basis. Gelder fließen nur projektbezogen, grundlegende Dinge wie ein Fotokopierer können nicht angeschafft werden. Auch die Verhandlungen mit Investoren und Sponsoren laufen schleppend. Das Rüdersdorfer Image ist noch zu sehr verstaubt. Doch die größte Enttäuschung erlebt der Förderverein mit dem Arbeitsamt. „Die haben die Spezifik unseres Vorhabens nicht erkannt“, sagt Ulla Walter, „da werden uns 21 ABM-Kräfte zugewiesen, die weder Interesse noch fachliche Kompetenz mitbringen.“ Momentan ist das Zementwerk ein Kunst- Kommunikationszentrum für Konzerte, Theater und Workshops. Aber irgendwann, hofft Ulla Walter, wird nicht nur in Rüdersdorf über das Monster „Zementwerk“ gesprochen.

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