: Vom Miteinander und Nebeneinander
■ Gemeinsames Handeln und Solidarität wollen gelernt sein
Ein Bild, älter als zehn Jahre, spukt immer noch in meinem Kopf herum. In einem Projekt zum besseren Verständnis zwischen In- und Ausländern wurde ein Film über das Miteinander von deutschen und ausländischen Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben erstellt. Ergebnis: Ein problemloses Verhältnis! Aber das Bild! Es zeigte das Werkstor bei Feierabend: Kaum waren die Kollegen durch das Tor gegangen, trennten sich ihre Wege: hier die Deutschen, dort die ausländischen Grüppchen.
Wir alle haben lange nicht verstanden, daß der Betrieb nicht in einem luftleeren Raum existiert, und daß deshalb auch die außerbetriebliche Atmosphäre starken Einfluß auf das Miteinander im Betrieb hat. Erst jetzt, nach diesen fürchterlichen drei letzten Jahren, scheinen wir langsam zu begreifen.
Nur, 30 Jahre oder mehr lassen sich nicht mit einem Federstrich aus unseren Köpfen schaffen, und so entstehen nun bei vielen Versuchen, dieses Miteinander im Betrieb auch durch Impulse außerhalb des Betriebes zu verbessern, Gefühle der Hilflosigkeit, der Enttäuschung und der Resignation. „Das haben wir doch immer gewußt, daß das nicht geht!“. Deutsche Bergmannsfamilien, bei denen nicht nur die Männer seit Jahrzehnten zusammen mit sehr vielen nichtdeutschen Kollegen arbeiten, sondern in der Siedlung Tür an Tür mit den ausländischen Familien leben, versuchen es mit Straßenfesten und mit schriftlichen Einladungen zu Veranstaltungen. Keine ausländische Familie geht hin. Und das ist meistens nicht eine Frage der Schuld. Es ist eine Frage der fehlenden Kommunikation, des Aneinandervorbeidenkens und -fühlens.
Aber es gibt auch wichtige, gelungene Versuche des gemeinsamen Handelns, der Solidarität von deutschen und nichtdeutschen Kollegen in den Betrieben: Denken wir nur an die großen Telefonketten, die nach den schlimmsten Ereignissen der letzten Zeit in einigen Großbetrieben entstanden.
Auch auf individueller, persönlicher Ebene gibt es Versuche, hilflose und mutige. Mutig wie der deutsche Kollege, der bei der Straßenreinigung beschäftigt war und schon vor vielen Jahren an der Volkshochschule Spanisch lernte. „Ich fahre seit Jahren zusammen mit einem spanischen Kollegen. Wieso erwarten wir immer von ihnen, daß sie Deutsch lernen? Ich bin jünger und habe es auch dadurch leichter, eine Fremdsprache zu lernen.“ In der Gruppe erntete er vor allem Unverständnis.
Im Betrieb gilt mit Paragraph 75 des Betriebsverfassungsgesetzes ein Diskriminierungsverbot. Arbeitgeber und Betriebsrat haben über die Gleichbehandlung zu wachen. Aber nicht nur das; Paragraph 104 legt Sanktionen fest, die bis zur Entlassung jenes Arbeitnehmers gehen können, der durch grobe Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört hat.
So weit, so gut. Aber was machen wir mit dem Arbeitgeber, der einen Arbeitnehmer aufgrund seiner Nationalität bei einer Beförderung benachteiligt? Solche Fälle subtiler Diskriminierung sind üblich: bei Einstellungen, bei der innerbetrieblichen Fortbildung, bei Beförderungen. Doch sie sind schwer zu beweisen.
Und was tun wir in jenen Fällen, wo Gleichbehandlung die ausländischen Kollegen de facto benachteiligt und eine positive Diskriminierung notwendig wäre? Für die Gewerkschaften bedeutet all dieses, daß sie über ihre Rolle als Interessenvertretung der Arbeitnehmer in den Betrieben nicht genug zur Verbesserung dieser Situation beitragen können. Stattdessen müssen sie sich als Ombudsmann, als Menschenrechtsinstanz verstehen, sich für Gleichbehandlung und gegen Diskriminierung auch über den engen betrieblichen Rahmen hinaus engagieren. Isabel Basterra
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