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Wer über Sommersprossen spricht

Die Zensur feministischer Autorinnen in den USA ist subtil – und häufig rein ökonomisch motiviert  ■ Von Shere Hite

Ach, Sie malen sich Sommersprossen ins Gesicht? Wie machen Sie das?“ Ich habe mich noch kaum hingesetzt zu diesem wichtigen Interview, das erste in einer Reihe von Presseterminen zur Vorstellung meiner neuen, 400 Seiten starken Recherche. Das ist die erste Frage.

Wie würden Sie das nennen? Oder den Artikel in einer der großen nationalen Zeitungen, der sich mit den 20 Jahren meiner Arbeit befassen soll, und beginnt mit: „Shere Hite stolpert auf für ihr Alter von 50 Jahren bemerkenswert hohen Absätzen die Treppe herunter.“ Anschließend wird die Frage diskutiert, ob Frauen „meines Alters“ ein Recht auf mehr als „praktische Kleidung“ haben.

Ich nehme an, das nennt man sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, gedruckt. Die LeserInnen ersticken unter einem Berg an Informationen über mich als Person und jegliche Diskussion von Ideen versinkt im Fluß detailgenauer Körperbeschreibungen. Date Rape.

Wie harmlos ist das? Es wirkt sich auf das Verhältnis meiner Verleger und Kritiker zu meiner Arbeit aus: sie lesen diesen endlosen Strom von Artikeln, die sich mit meinem Körper beschäftigen (warum auch sollte man sich mit dem Denken einer Frau beschäftigen, wenn man ihren Körper diskutieren kann?); sie meinen dann womöglich, mein Denken sei ähnlich trivial und beschäftigen sich oft gar nicht erst damit. Sie „wissen“, wer ich bin.

Das bringt mich zum Thema Zensur. Natürlich ist, was da passiert, zunächst nur eine Trivialisierung, und, wie kritikwürdig auch immer, noch keine Zensur. Zensur ist die politische Diskriminierung oder Bestrafung derjenigen, die eine dem Establishment abträgliche Meinung vertreten. Aber halt: diese Trivialisierung hat die Herausgabe meiner Arbeiten schon seit Jahren begleitet. Sie hat die Bücher getroffen, die ich schreiben „durfte“, d. h. für die ich einen Vertrag bekam. Trivialisierung ist auch, daß meine Lektoren die „wunderbare“ Stimmen in meinen Recherchen drinnenließen und meine eigene herausstrichen: durch den Rausschmiß meiner Zusammenfassungen und Kommentare haben sie mich effektiv zum Schweigen gebracht.

Der „Hite Report on the Family“ ist der vierte in einer Reihe von Hite-Repots. In einigen ist mehr von meinen Kommentaren geblieben als in anderen. Das hatte mit den Lektoren zu tun, mit denen ich jeweils gearbeitet habe: einige forderten mich auf, meine Ideen ausführlich darzustellen, andere strichen das Manuskript bis aufs Gerüst zusammen und ließen nur die reinen Forschungsergebnisse stehen; daß Frauen nichts zu sagen haben, ist für manche Lektoren selbstverständlich – ein Sexismus, der ihnen nicht einmal bewußt ist. Es ist so, wie Christine Battersby in ihrem ausgezeichneten Buch „Gender and Genius“ sagt: Männer werden oft Genies genannt, Frauen nur sehr selten. Und obwohl man das alles weiß, denkt man manchmal eben doch: vielleicht haben die Lektoren ja Recht, vielleicht ist wirklich nichts wesentlich oder bedeutsam von dem, was ich geschrieben habe.

Die Ideen von Frauen unsichtbar zu machen, ist Zensur. Selbst Simone de Beauvoir dachte ab und zu darüber nach, ob „die Hohepriester“ sie ohne ihre Beziehung zu Jean Paul Sartre je wahrgenommen und akzeptiert hätten. Margaret Mead hat sich mit ihrer Pionierarbeit zu Samoa enorme Verdienste erworben. Die New York Times jedoch entblödete sich nicht, in ihrem vor einigen Jahren auf Seite Eins erschienen Nachruf an prominenter Stelle einen Satz sinngemäß mit einer Formulierung einzuleiten wie: „Obwohl sie nie eine Wissenschaftlerin war, hat sie doch...“ Das hätte man über einen Mann nie geschrieben, der geleistet hätte, was sie geleistet hat, nämlich eine ganze Kultur der westlichen Welt neu zu Bewußtsein zu bringen. Ihre Arbeit war ebenso „wissenschaftlich“ wie die jedes anderen Anthropologen – und was bedeuten diese Etiketten überhaupt?

Die Haltungen gegenüber Frauen und Männern, die ich durch meine Arbeit bekämpfe, sind genau die Haltungen, die mich im freien Schreiben und Sprechen durch Verwirrspiele und Konfrontationen behindern. Alles zusammen strickt ein dichtes Netz, das meine Thesen und Theorien nur wie durch einen Filter sichtbar werden läßt.

Ich schaue die Interviewerin, die mich nach den Sommersprossen gefragt hat, verblüfft an. Sie starrt mir unverhohlen ins Gesicht, um das Geheimnis der Sommersprossen zu lüften. Ich frage mich, was ich hier soll. Aber natürlich antworte ich, denn wenn ich aufstünde und wegginge, ergäbe das auch wieder nur eine jener trivialen „Nachrichten“ über mich, und ich hätte nur Zeit verloren, weil man einen neuen Termin machen muß.

Kann man sich vorstellen, daß einem Mann solche Fragen gestellt würden, statt ihn über seine Arbeit zu befragen? Natürlich ist das keine „gewollte“ Zensur. Aber sie funktioniert so gut wie die orthodoxe Zensur, vielleicht sogar besser, weil unsichtbar: sie verhindert, daß bestimmte Ideen andere erreichen können. Nur ist sie in diesem Zusammenhang nicht glorifizierbar durch das edle Märtyrertum, das dem Wort „Zensur“ anhängt.

Natürlich bin ich nicht die einzige Frau, der das passiert. Hunderte feministischer Autorinnen, besonders der bekannteren unter ihnen, wie Naomi Wolfe, Susan Faludi, Andrea Dworkin, Germaine Greer und vor allem die meisten Feministinnen des 19. Jahrhunderts mußte da hindurch – jede Frau, die sich frei zu dem bekennt, was sie denkt. Dann nennt man uns „exzentrisch“ und „theatralisch“, Körpermaße und Aussehen werden durch die Mühle gedreht und in Artikeln breitgetreten. Und dennoch schreiben und reden wir weiter und hoffen, daß man uns hört. Und manchmal hört man uns auch, durch alle Filter hindurch.

Nach der Publikation meines dritten Reports „Women and Love: a Cultural Revolution in Progress“ (1987) kam ich bei dem Versuch, meine Thesen über die Presse einem breiten Publikum nahezubringen, in einen derartigen Konflikt mit den amerikanischen Medien, daß sich schließlich zwölf Feministinnen zu einem Verteidigungskomitee für mich zusammentaten (siehe Kästen). Eine journalistische Clique versuchte mich – ganz platt und brutal – auf dem Höhepunkt dessen, was Susan Faludi den Backlash genannt hat, zum Schweigen zu bringen, und am Ende verließ ich die Vereinigten Staaten. Ich bin bis heute nicht zurückgekehrt. 1990 beteiligte ich mich an einem Treffen des Frauenkomitees des Internationalen PEN in New York. Viele Frauen erzählten dort, daß man ihnen keine neuen Verträge gäbe oder alte nicht erneuerte. Sie beklagten, daß sie offenbar nicht genug Profit einbrächten und meinten, nur die großen „Seller“ würden heutzutage noch veröffentlicht. Meiner Ansicht nach reicht das finanzielle Argument jedoch zur Erklärung nicht aus: täglich werden Hunderte von Büchern über die abgelegensten Themen publiziert. Außerdem haben zum Beispiel meine Bücher den Verlegern immer gut Geld eingebracht – und trotzdem reagieren sie nervös auf neue Projekte von mir und nehmen sie durchaus nicht immer an (es sei denn es geht um „Sex“). Im reaktionären Klima der Reagan-Bush-Jahre hatten feministische Bücher schlicht politische Probleme.

Viele Medien-Großkonglomerate haben nicht nur finanzielle, sondern auch politische Ziele. Ihre Politik reicht von der Faustregel, nur ja niemanden zu provozieren und nur „sichere“ Bücher zu veröffentlichen bis zum handfesten politischen Programm. Selbst Bücher von Noam Chomsky, Gore Vidal – als Feministen bekannt – oder Salman Rushdie, die sich in aller Regel gut verkaufen, sind hinter den Kulissen Behinderungen ausgesetzt, sobald sie politisch radikale Ansichten enthalten.

Zensur ist heute subtiler, oft versteckt und nicht selten absurd. Lobbies und Politiker, besonders die der fundamentalistischen Rechten, sind in Umgang und Manipulation der Medien äußerst geschickt. Man übt zum Beispiel Druck auf Redakteure einflußreicher Zeitungen aus, für die es wichtig ist, zum Lunch ins Weiße Haus gebeten zu werden. Die Medien- Konglomerate brauchen jeden Fetzen zusätzlicher oder privilegierter Information, die sie im Kongreß, im Weißen Haus, im Parlament oder beim Premierminister aufschnappen können. Zensur wird auch verstärkt durch die Konzentration von Buch- und Presseverlagen sowie Sendern in immer weniger Händen. Mit immer weniger Leuten in den entscheidenden Sesseln, wird die Bandbreite zugelassener Meinungen immer schmaler; vielen wird der Zugang verwehrt und abweichende Meinungen bleiben ungehört.

Ein weiterer Grund zur Sorge ist die wachsende Geheimhaltung und Paranoia in den Redaktionen und Marketingbüros. Immer mehr Redaktionen lassen sich gar von bewaffneten Wachmännern abschirmen, und was im Inneren vor sich geht, wird ähnlich eifersüchtig gehütet. Ausschüsse dürfen nur noch einstimmige Beschlüsse fällen und ein einziges Veto kann Entscheidungen wieder rückgängig machen. Autoren und ihre Agenturen haben oft keinen blassen Schimmer, warum und durch welchen Entscheidungsprozeß ein Manuskript abgelehnt wird. Und zunehmend werden nur risikolose Bücher noch einstimmig beschlossen; neue radikale Inhalte fallen fast immer durch. Früher arbeiteten Lektoren und Autoren noch zusammen, danach wurde das Werk den Marketing-Leuten präsentiert. Heute gibt es oft unendlich viele geheime Konsultationen und Veränderungskonferenzen, zu denen der Autor nicht zugelassen ist. Will man damit das „Corporate Image“ bewahren? Oder die Vertreiber und Buchhändler glücklich machen? Oder vor allem die Anteilseigner?

Medien-Monopole machen aus dem Ausdruck „freier Markt“ einen Witz. Die großen Konglomerate tun sich sogar zusammen, um ihre Einflußgebiete immer mehr auszuweiten; globaler Medienbesitz ist der Preis, nach dem sie schnappen. Und sie haben sich ins Buchgeschäft nicht gedrängt, weil das besonders profitabel wäre, sondern weil Bücher immer noch für die öffentliche Diskussion wichtig sind.

Ein anderer wichtiger Grund für einen Mangel an Differenz und Spontaneität in den Buchverlagen liegt im Vertrieb. Achtzig Prozent aller Buchläden in den USA gehören zwei Großkettenunternehmen. Und sie senken die Preise derartig, daß unabhängige Buchläden nicht länger konkurrieren können. Zudem haben kleine Verlage kein gut funktionierendes Vertriebssystem für ein großes Lesepublikum und auch nicht die Beziehungen und finanziellen Verbindungen der großen Verlage mit den Kettenläden. Wo bleibt da der Autor, die Autorin?

Der letzte Aspekt, der für das Buchgeschäft heutzutage, wie wir alle wissen, von entscheidender Bedeutung ist, kann zum entscheidenden Zensurinstrument überhaupt werden. Ich rede von den Medien. Verdrehungen, Lügen, Belästigungen, Rufmorde und gezielte Desinformationen der Medien sind eine andere Form von Zensur und können zusammengenommen schlimmer sein, als von Redakteuren und Kritikern ignoriert zu werden. Denn ein Verleger legt sich nicht für eine unpopuläre Autorin ins Zeug, wenn das bedeutet, daß andere Schriftsteller in seinem Programm dafür durch Nichtbeachtung in der breiten Presse bestraft werden.

Zensur kann sich in den Medien auch durch Quasi-Regierungs-Organisationen durchsetzen, wie sie Susan Faludi in ihrem Buch „Backlash“ beschrieben hat und wie sie durch Reagan und Bush aufgekommen sind. Sie funktionieren wie Einsatzkommandos gegen Gruppierungen, die ihnen nicht passen. Wie sagte doch Pat Buchanan in seiner pro-fundamentalistischen, Zurück-zu-den-Grundsätzen-Rede 1992 auf dem Parteitag der Republikaner noch: „Der wirkliche Feind, den wir uns jetzt vornehmen müssen, ist der radikale Feminismus.“

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