: Mexikos Zukunft liegt im Dschungel
Die Zapatisten laden zum Kongreß: Auf einer geheimen Lichtung im Regenwald sollen Oppositionelle drei Tage über eine Verfassung und eine Übergangsregierung beraten ■ Aus Mexiko-Stadt Anne Huffschmid
Ein Kongreßzentrum im Lacandonischen Regenwald bildet ab heute die Kulisse für eine Konferenz, die in ihrer Art wohl eine Weltpremiere sein dürfte: Eingeladen hat die Zapatistenguerilla EZLN, kommen werden VertreterInnen all der Gruppen Mexikos, die sich im weitesten Sinn als „Demokratiebewegung“ verstehen.
Nicht weniger als 7.000 Leute werden von den zapatistischen Gastgebern zur Nationalen Demokratischen Konvention (CND) erwartet. Rund 6.000 Delegierte aus der gesamten Republik sollen drei Tage lang über „friedliche Wege zur Demokratie“ – so der Aufruf der EZLN – diskutieren. Einziger gemeinsamer Nenner der „pluralen“ Convencion ist die Ablehnung des Status quo. Auf der Tagesordnung stehen die Entwicklung eines politischen Programms einer „Regierung des Übergangs zur Demokratie“ und Vorschläge für eine neue Verfassung. Über mangelnde Mobilisierung können die Zapatistas nicht klagen: Von Bauern- und Indianerverbänden über Universitätskomitees und Menschenrechtsvereine bis hin zu Frauenorganisationen und schwul- lesbischen Aktionsgruppen wird alles vertreten sein. Auch die linksliberale Oppositionspartei PRD schickt ihre Leute in den Dschungel, über hundert Kirchenvertreter kündigten Solidaritätsmessen an.
Unerwünscht sind VertreterInnen der Regierungspartei PRI, aber auch „alle, die glauben, daß man den demokratischen Wandel nur auf bewaffnetem Wege erreicht“, sowie „all diejenigen, die grundsätzlich gegen Wahlen sind“. Diese überraschend „reformistischen“ Teilnahmebedingungen sorgten schon im Vorfeld für den Unmut von radikalen Splittergruppen. „Der proletarische Kampf ist nicht parlamentarisch!“ schrie empört ein Vertreter einer maoistischen Ultrafraktion bei einem Treffen in der Hauptstadt.
Ansonsten laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Binnen weniger Wochen habe man mitten im eingekesselten Zapatistengebiet eine „richtige kleine Stadt“ gezaubert, schwärmt der Sprecher des Organisationskomitees in San Cristóbal de las Casas, Jorge Arturo Luna. Während das malerische Touristenstädtchen sich mit convencionistas füllt – selbst die letzten Wohnzimmer sollen mittlerweile schon vermietet sein –, werden im Regenwald riesige Tribünen fürs Plenum, Küchen, Latrinen und Schlafbaracken eingerichtet, auch eine Bibliothek – mit Bücherspenden von diversen Büchereien und Universitäten des Landes – und sogar ein Computerzentrum für die Presse. Rund 45 Millionen Pesos, an die 25.000 Mark, habe die Infrastruktur bislang verschlungen. „Alles Spendengelder“, so Guerillasprecher Marcos, „die die Leute uns eigentlich für Essen, Munition und Waffen geschickt haben.“
Noch ist die Lichtung im Urwaldtal auf keiner Landkarte verzeichnet. Aber sie hat schon einen Namen: „Aguascalientes“ wurde sie von der EZLN getauft, in Anspielung auf jene Militärkonvention im Oktober 1914, auf der die Truppen von Villa und Zapata sich in der Stadt Aguascalientes trafen, um dort, wie der Historiker Andrés Aubry schreibt, „die Revolution zu entwerfen“.
Auch die intellektuelle Elite des Landes soll in dem neuen Aguascalientes dabeisein: Allen namhaften Schriftstellern, Künstlern, Historikern, Journalisten und Akademikern flatterten in den vergangenen Wochen persönliche Einladungen vom Subcomandante Marcos ins Haus. Einige – wie Carlos Fuentes, Carlos Monsivais oder der Historiker Enrique Krauze – antworteten dem „Sub“ in offenen Briefen: Einhellig ist das Interesse, kaum einer aber möchte als aktiver Teilnehmer an der subversiven Veranstaltung teilnehmen, sondern – wenn überhaupt – als „Beobachter“.
Denn bei aller Sympathie distanzieren sich die prominenten Gäste deutlich vom militärischen Charakter ihrer Gastgeber. So hofft der Journalist Daniel Cazés, „auf der Convencion möge die Überzeugung entstehen, daß Waffen niemals demokratisch oder friedensschaffend sein können“. Und Monsivais – der der Konvention als „Chronist“ beiwohnen will – äußerte die Befürchtung, dort wieder nur die „Predigten aus den stalinistischen Gruften“ zu hören. Statt dessen wünscht sich der Autor, den viele als einen der geistigen Ziehväter von „Marcos“ betrachten, „einen großen kritischen und selbstkritischen Akt von Teilen der Linken und Linksliberalen auf ihrer Suche nach demokratischen Alternativen“.
Und Selbstkritik tut not. So beklagen Aktivistinnen vor Ort wieder einmal den berühmten blinden Fleck ihrer revolutionären compañeros: Trotz des allgemeinen „Demokratie“-Booms ist auf keiner der fünf Arbeitsgruppen, die für Samstag in San Cristóbal vorgesehen sind, der Demokratisierung zwischen den Geschlechtern ein Platz eingeräumt. „Dann müssen wir uns diesen Platz eben schaffen“, meint Yolanda Castro von der Kunsthandwerkerinnen-Kooperative J'Pasjoloviletik. Diese hatte drei Tage vor dem Start der Convencion eine ungewöhnliche Demonstration durch San Cristóbal organisiert: Hunderte von Indianerinnen forderten lautstark „Gerechtigkeit!“ für drei junge Indio-Frauen, die Anfang Juni von Soldaten an einer Militärkontrolle in Altamirano vergewaltigt worden waren. Männer ließen sich auf dem Protestmarsch kaum blicken. Sie seien zu diesem „Frauenthema“ ja nicht aufgerufen worden, entschuldigte sich ein Mitglied des CND-Komitees.
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