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Die Blamage wurde gerade noch verhindert

■ Fast wären ungenehme Aids-Aktivisten nicht nach Yokohama gelangt. Aufklärung kommt in Japan immer noch aus der Angst vor dem Gesichtsverlust

Jun Takeda zählt in Japan zu dem Dutzend HIV-Positiver, die ihre Infektion offen eingestehen. Bis 1991 hat Takeda in Hamburg gelebt, 10 Jahre lang – jetzt leitet er das 20 Quadratmeter große HIV- Zentrum von Tokio, die einzige ständige Anlaufstelle für Aids-Infizierte in der größten Metropole der Welt. Seit seiner Rückkehr ist Takeda auf seine Heimat nicht mehr gut zu sprechen: „Man kann in diesem Land nicht offen über Aids reden. Es scheint, als gelte ein altes Gesetz für die Ausgrenzung von Lepra-Kranken heute für HIV-Infizierte fort.“

Für seine Anschuldigungen an Japan, nicht genug gegen die ganz Asien bedrohende Aids-Seuche zu tun, findet Jun Takeda derzeit in aller Welt offene Ohren. Am Sonntag beginnt in Yokohama südlich von Tokio die zehnte Welt- Aids-Konferenz, bei der bis zum Konferenzschluß am Freitag 10.000 Teilnehmer erwartet werden. Die Rechnung der Gastgeber, mit der medienattraktiven Mammutveranstaltung die Sympathien der restlichen Welt zu erheischen, ging jedoch schon im Vorfeld nicht auf: Nach und nach kamen den Teilnehmern skandalöse Nachrichten von der Vorbereitung zu Ohren: Das japanische Justizministerium hatte sich gerweigert, ehemalige Drogenabhängige und Prostituierte – von denen eine große Zahl heute in Aids-Kampagnen weltweit aktiv ist – nach Japan einreisen zu lassen. Zudem hatten zahlreiche japanische Hotels die Beherbergung von HIV-Infizierten strikt abgelehnt. Erst in letzter Minute griff das japanische Gesundheitsministerium ein, um eine internationale Blamage zu verhindern: Es erklärte die Nichtaufnahme von HIV-Infizierten in Hotels kurzerhand für „ungesetzlich“ und rang dem Justizministerium Ausnahmegenehmigungen für die Einreise der Konferenzteilnehmer ab. Trotzdem: „Die Aids-Konferenz wird ein schlechtes Licht auf die Nation werfen“ (Japan Times).

Doch wenn ein Gesichtsverlust droht, sind Japaner erfahrungsgemäß zu schnellem Handeln bereit. Tatsächlich ist es höchste Zeit, daß sich die wichtigste Führungsmacht in Asien für eine resolute Aids-Politik entscheidet – die Zahl der HIV-Infektionen in Asien droht schon im Jahr 2000 die Afrikas zu überholen. Während viele Asiaten in Aids noch immer die Krankheit von Afrikanern und schwulen Nordamerikanern sehen, zählt die Weltgesundheitsorganisation in Asien heute bereits knapp 1,5 Millionen HIV-Infizierte. Vor allem die Neuinfektionsrate ist in Asien im Weltvergleich derzeit am höchsten. Insofern soll die erste Welt- Aids-Konferenz in Asien ein Signal setzen: „Wer in Asien jetzt nichts gegen Aids unternimmt, wird später dafür bezahlen“, warnt der Gesundheitsexperte der Asiatischen Entwicklungsbank, Myo Thant, die teilnehmenden Regierungsvertreter.

Das Beispiel Japan zeigt freilich, wie schwer es die Aids-Aufklärer in Asien haben werden. Innerhalb der Region ist Japan zweifellos das freizügiste und aufgeklärteste Land. Doch die traditionelle Scham samt dem konfuzionistischen Machismo, der weitgehende Verzicht auf Sexualerziehung an den Schulen und die überall mangelnde Bereitschaft, die neuen Gefahren des Geschlechtsverkehrs offen anzusprechen, belassen die meisten Japaner in dem Glauben, Aids ginge sie gar nichts an.

„Ich sage den Leuten, Sex ist im Leben genauso wichtig wie das Autofahren. Um sich keinen Gefahren auszusetzen, muß man beides richtig lernen“, argumentiert ein 27jähriger Mitarbeiter der HIV-Zentrale in Tokio. Doch von vier hauptamtlichen und zehn ehrenamtlichen Mitarbeitern lassen sich 30 Millionen Tokioter kaum zum „Safer Sex“ überreden. Für die eingefleischten Konservativen, die die Erziehungsrichtlinien des Landes bestimmen, steht fest, daß nur westliche Verwahrlosung der Sexualmoral als Grund für die Aids-Seuche herhalten kann. Folglich wird an manchen japanischen Grundschulen inzwischen über Aids geredet – doch mit der Auflage, die Infektionsgefahr beim Geschlechtsverkehr nicht zu erwähnen.

Die Mitarbeiter der HIV-Zentrale werfen ihrer Regierung deshalb Passivität vor. Sie wage es auch nicht, gegen Krankenhäuser vorzugehen, die die Annahme von Aids-Kranken verweigern. „Neun Jahre nach dem ersten Aids-Fall in Japan, gehört es für Aids-Kranke und HIV-Infizierte immer noch zur Normalität, an den Türen der Krankenhäuser abgewiesen zu werden“, klagt das HIV-Zentrum.

Die Welt erwarte von Japan, daß es beim Kampf gegen Aids eine Hauptrolle übernimmt, hat der japanische Regierungsvertreter in Yokohama, Shigeto Kugo, erkannt. Tokio will deshalb 1995 18 Millionen Mark für die internationale Aids-Hilfe zur Verfügung stellen, 30 Prozent mehr als in diesem Jahr und etwa genausoviel, wie jetzt die Konferenz in Yokohama kostet. Alles in allem aber viel zuwenig, um Aids in Asien zu stoppen. Chikako Yamamoto

und Georg Blume, Tokio

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