: Mittelschwere Reizüberflutung
„Höhenverstellbar und garantiert flimmerfrei“: Jede Menge Gimmicks, viel Hi-Tech, viel Infotainment, wenig zu lesen und nur gelegentlich etwas zu kapieren auf der „Deutschen Arbeitsschutzausstellung“ in Dortmund ■ Von Patrick Bierther
Überall blinkt was, rattert es, kann man Knöpfe drücken. Ein Industrieroboter schwenkt und heult ununterbrochen. Im Airbus-Cockpit schwatzen Piloten vom Band auf englisch auf uns ein. Viermal am Tag stampft eine Batterie Webstühle los. In einer komplett eingerichteten Druckwerkstatt kann man unter Anleitung eine eigene Zeitung herstellen.
Wir befinden uns nicht etwa in einer Ausstellung zum Thema „Reizüberflutung“, sondern in der Deutschen Arbeitsschutzausstellung (DASA) in Dortmund, einer 120 Millionen Mark teuren High- Tech-Schau. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz hat sie wie eine Kinderzeitung nach dem Yps-Prinzip aufgebaut: Jede Menge Gimmicks, wenig zu lesen, viel zu gucken für die durchschnittlich 400 Besucher täglich – Technik-Fans, Schulklassen, Betriebsräte, Ingenieure.
Die Gefahren unserer Arbeitswelt sind mannigfaltig: Streß, Lärm, Gifte, Stäube und nicht körpergerechte Bildschirmarbeitsplätze. Um unsere Aufmerksamkeit für sie zu schärfen, hat der Bund nicht geknausert. Schließlich sollte der 13.000 Quadratmeter große „Lernort“ DASA sich nach arbeitsministerieller Vorgabe nicht auf die Entwicklung und Ziele des Arbeitsschutzes beschränken, sondern auch mit den Fragen beschäftigen: Wie kann man die Arbeitswelt menschlich gestalten? Welchen Stellenwert hat sie in der Gesellschaft?
Ganz leise ins Bewußtsein gespült...
Denen, die an den hier ausgestellten Maschinen nicht nur zum Spaß arbeiten mußten und müssen, droh(t)en Lösungsmittel- und Bleivergiftungen, Gehörschäden, Quetschungen. Darüber grübelt der Besucher – wenn überhaupt – erst dann nach, wenn er die DASA wieder verlassen hat. „Wir kommen den Besuchern nicht mit dem dicken Pädagogikhammer. Wir spülen den Arbeitsschutzgedanken über Spaß am Technik-Entdecken leise ins Bewußtsein“, erläutert Wolfram Jeiter, Präsident der Bundesanstalt für Arbeitsschutz das Konzept.
Per Kopfhörer wird akustisch durch die verschiedenen Ausstellungskapitel geführt. Infrarotgesteuert plappert er los, sobald man in den entsprechenden Bereich kommt; tritt man nur einen Schritt aus ihm heraus, verstummt er. Wer davon genervt ist, tut gut daran, die an Turnbarren befestigten Metallklappen zu beachten. Darunter verbergen sich nämlich die Erläuterungen zu dem technischen Wunder, vor dem man gerade steht. Ansonsten müssen sich die Besucher mit asthmatischen Plakattexten zufriedengeben: „Industrielle Revolution. Schneller. Immer schneller. Und mehr. Vor allem.“
Wer nicht lesen mag, kann sich Filme anschauen. Zum Beispiel über die Einführungsrituale, die Lehrlinge in früheren Jahrhunderten über sich ergehen lassen mußten: Demütigungen, Schläge, Fingernägel ausreißen. Besonders Schüler umlagern die rot befleckte Leinwand mit sichtlichem Vergnügen.
Ein weiterer Hit: das größte Notebook der Welt, rund drei Meter im Kubik. Die Tasten sind so riesig, daß man drauf herumhüpfen könnte. Darf man aber nicht. Das reichlich vorhandene Aufsichtspersonal wacht darüber, daß die Bedienung nur per Maus geschieht. Wer mit dem Monstrum klarkommt, schließt Bekanntschaft mit Gabi. „Gabi“ steht für „Gesund am Bildschirm-Arbeitsplatz – Immer“ und ist ein Lernprogramm.
Die DASA klärt auf, wie er sein soll, der gesunde Bildschirm-Arbeitsplatz. Arbeitgeber, hergehört: Strahlungsarm sei der Monitor, höhenverstellbar und flimmerfrei! Er zeige dunkle Zeichen auf hellem Untergrund, nicht umgekehrt! Auch an die Software werden Ansprüche gestellt: Sie soll auf Wunsch selbst erklären, wie sie funktioniert und was sie kann (das würde sich auch bei manchem Programm gut machen, mit dem man in der DASA experimentieren soll). Sie soll in Geschwindigkeit und Ablauf steuerbar sein. Und bei Eingabefehlern soll das System nicht gleich abstürzen, sondern den Fehler markieren und Korrekturmöglichkeiten anbieten.
Nicht immer nur den dernier cri
Die weiteren Empfehlungen überraschen nicht: Ich freu' mich aufs Büro, wenn es helle Wände hat, die Sonne nicht direkt draufknallt und der Bürostuhl weder kippt noch wegrutscht.
Eine „Ausstellungseinheit im Werden“ heißt „Unsichtbare Gefahren“. Damit sind Gifte gemeint und nicht etwa die Schleichwerbung, denn die ist unübersehbar. Eine Firma darf in Großbuchstaben mitteilen, sie sei „weltweit ein Begriff für Arbeitsschutz und Umweltanalytik“ – was sie mit einer Reihe von Atemschutzmasken illustriert.
„Auch bei uns wird Sponsoring betrieben“, gibt Wolfram Jeiter zu. Schließlich veraltet auch die in der DASA gezeigte High-Tech rapide. Zwar „müssen wir nicht immer den dernier cri haben“, sagt der Präsident. Aber bei den Neuanschaffungen kann er nicht mehr so zaubern wie noch 1989, als die Ausstellung konzipiert wurde. Die Gelder für die Ausstattung wurden bis 2003 „gestreckt“. Bis dahin bleibt mancher Ausstellungsbereich unvollendet. Am Geld allein kann es aber nicht liegen, daß kein Schild die Besucher darüber aufklärt, warum die ausgeglühten Wrackteile des 1987 in Herborn explodierten Tanklasters in der DASA herumstehen.
Im Obergeschoß finden Wechselausstellungen statt. Momentan lockt eine zum Thema „Altenpflege“: „Putzen, waschen, füttern – ansonsten keine Zeit!“. Zu besichtigen ist je ein Zimmer für „Siechenpflege um 1920“ und „Altenpflege um 1990“, ein „Fixiergürtel“ und Leichenwannen. In eingespielten O-Tönen berichten Altenpflegerinnen über die Last auf Rückgrat und Seele. Dias zeigen Tätigkeiten wie „Ganzkörperwäsche“, „Augenpflege“, „Essen reichen“; penibel wird vermerkt, wieviel Zeit die Pflegerin dafür hat: drei Minuten. Und in fünf mal drei Minuten hat der Besucher alles gesehen.
So klein und fein und preiswert geht es hier also auch. Dagegen flossen Steuer-Millionen für so manchen Gigantismus. Die „Stahlhalle“, ein Dom der Schwerindustrie, ist ein halbes Verkehrsmuseum.
Hier steht eine – natürlich funktionsfähige – Walzstraße und das Gewichtigste, was in einer deutschen Ausstellung zu bestaunen ist: ein ausgedienter Elektrostahlofen von Hoesch, über 200 Tonnen schwer, angeschafft zum Schrottwert von 100.000 Mark zzgl. Transport zzgl. Aufbau zzgl. Asbest-Sanierung. „Der Ofen vermittelt einen Eindruck davon, was Schuften in Schichten bedeutet“, sagt Jeiter.
Ging's nicht eine Nummer kleiner? „Wenn wir so ein Projekt anpacken, dann muß das was Vernünftiges sein. Sie müssen bedenken: Wir haben in Deutschland jährlich 90 Milliarden Mark Unkosten durch Abwesenheit vom Arbeitsplatz. Vieles davon ist durch Arbeitsunfälle bedingt. Durch unsere Aufklärungsarbeit kann da viel gespart werden, und gegenüber den 90 Milliarden ist das Ding hier ein Klacks!“
„Deutsche Arbeitsschutzausstellung“, Friedrich-Henkel-Weg 1-25, Dortmund (S-Bahnstation Dorstfeld-Süd). Öffnungszeiten Di. bis Sa. 9-17 Uhr, So. 12-17 Uhr. Eintritt frei.
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