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Worpswede mal progressiv

■ Das malerische Moordorf als Sitz einer neuen Kunsthochschule? Ein Künstlerprojekt, einige Anträge, ein Kostenvoranschlag - und wenig inhaltliche Ideen

Herbert Bodzin hat sich große Ziele gesteckt. Der Maler, Bildhauer, Drehbuchschreiber und Musiker will eine Kunsthochschule in Worpswede initiieren. „Die ganze Gegend ist hier kunstdurchtränkt“, hat Bodzin festgestellt und deswegen sei Worpswede „prädestiniert“ eine Kunsthochschule zu beherbergen. Seine zweiseitige „Konzeption einer Kunsthochschule Worpswede“ hat er bereits an das niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur geschickt. Die Antwort steht noch aus. Im Künstlerdorf selbst sei er auf Interesse gestoßen. Doch auch Verwaltung und Parteien haben noch nicht reagiert.

Bodzin weiß, daß wegen der enormen Investition von geschätzten 22 Millionen Mark für den Neubau der Hochschule auf bislang noch grüner Wiese die Chancen eher gering sind. Er will trotzdem weitermachen. „Wenn die Gelder nicht kommen, haben wir auch nichts verloren“, sagt er. „Wir“ sind Geschäftsleute und GaleristInnen vor Ort, einige LehrerInnen und DozentInnen der Uni Bremen und ein Graphiker. Von der European League of Institutes of the Arts (ELIA) will er Gelder und Unterstützung für das Projekt bekommen. In ELIA haben sich rund 270 renommierte Kunsthochschulen aller Diszipline aus 35 Ländern zusammengeschlossen. Die europäische Vereinigung will den Austausch zwischen KünstlerInnen verschiedener Richtungen aus unterschiedlichen Ländern fördern. Herbert Bodzin möchte das auch - in Worpswede.

Rund 240 „freischaffende Künstler“ und 22 DozentInnen will er dorthin locken. Progressiv sollen sie sein, in der Kunst etwas bewegen wollen. Werbung brauche man nicht zu machen, der Ort sei bekannt genug, „richtige Mythen gibt es über Worpswede“. „Aus dem Mythos Worpswede soll die Lehrsituation entstehen“, findet Bodzin, wie wisse er noch nicht genau. „Namen habe ich noch nicht im Kopf, niemanden wo ich sage: Der muß unbedingt her“. Bodzin möchte erstmal abwarten. Wenn die Hochschule gebaut sei, würden die „Bewerbungen nur so rasseln und wir werden höchsten einen von zwanzig Bewerbern nehmen können“. „Es gibt auch drei bis fünf Künstler von hier, die unterrichten könnten“, meint Bodzin. Er selbst möchte dort nicht lehren, sondern sieht seine Aufgabe „in der Koordination, zum Beispiel als Dekan“.

Das autodidaktische Multitalent möchte die vermeintlich „klassischen Künste wie Malerei, Graphikdesign, Plastik und visuelle Kommunikation“ an der Worpsweder Hochschule etablieren. Über die Inhalte habe er noch nicht nachgedacht, „das muß sich entwickeln, Hauptsache progressiv“.

Da kann es Bodzin auch wenig stören, wenn selbst die bereits bestehenden Lehrinstitute wenig Chancen für eine neue Hochschulgründung sehen. Wie an der Fachhochschule Hannover, wo im Fachbereich Kunst und Design bis zu 1.000 StudentInnen von Textildesign über Innenarchitektur bis Graphikdesign und Freier Kunst ihr Handwerk lernen . Seit Jahren versucht Dekan Professor Dieter Lange, eine Hochschule aus dem Fachbereich zu machen. Bislang scheiterte das Vorhaben am Geld. Wie an anderen niedersächsischen Kunsthochschulen ist auch den Hannoveranern der Etat gekürzt worden.

Auch der Vorsitzende der Worpsweder Atelier-Haus-Stiftung, Kausche, gibt dem Hochschulprojekt keine großen Chancen. „Wenn ich Kunst studieren wollte, würde ich dahin gehen wo was los ist, nach Berlin oder mindestens nach Braunschweig“. Er kann sich auch nicht vorstellen, daß hochkarätige LehrerInnen nach Worpswede kommen würden. Der Landkreis und die Atelier-Haus-Stiftung vergeben allerdings jährlich neunmonatige Stipendien an ausgebildete KünstlerInnen. Jährlich finanzieren der Deutsche Akademische Austauschdienst, das Land Niedersachsen der Landkreis Osterholz und eine Bank insgesamt zwölf neunmonatige Stipendien für KomponistInnen, LiteratInnen und freischaffende KünstlerInnen.

Als vor 100 Jahren die ersten KünstlerInnen nach Worpswede kamen, hatten auch sie große Ziele. Ein Haus der „Roten Hilfe“ entstand, aus Vogelers Jugendstilgarten wurde ein Gemüseacker zur Grundversorgung. Und sie wollten ihre Seele nicht in Akademien verbiegen lassen. fok

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