Gastkommentar
: Chaos vorprogrammiert

■ Lehrerarbeitszeit: Ex-Senator kritisiert den amtierenden Bildungssenator

Bildungssenator Scherf sorgt mitten in den Sommerferien für Unruhe unter den Bremer LehrerInnen: Er will die Lehrerarbeitszeit neu regeln. Er will nicht mehr nur die Unterrichtsstunden zusammenzählen, sondern dazu die Vor- und Nachbereitung, die Korrekturen und vor allem die zunehmende Sozialarbeit – mit diesen Aufgaben sind die einzelnen FachlehrerInnen nämlich durchaus unterschiedlich belastet. Das heißt auch, daß die in einer Schule zu leistende Arbeit neu verteilt werden muß. Aus diesem Konflikt will sich die senatorische Behörde allerdings heraushalten, das soll autonom in den Kollegien bestimmt werden. Ziel ist außerdem, daß die LehrerInnen trotz langer Schulfereien aufs Jahr gerechnet nicht mehr, aber auch nicht weniger arbeiten als die übrigen Beschäftigten im Öffentlichen Dienst. red

Vor Jahren schon zogen die vereinigten Kultusminister aus, die antiquierte Lehrerstundenregelung zu knacken. Sie waren sicher, daß die renomierte Unternehmensberatung Knight-Wegenstein die Unterbeschäftigung der Lehrer gemessen am übrigen öffentlichen Dienst enthüllen werde. Statt die vermeintlichen Faulpelze zu entlarven, bescheinigte Knight-Wegenstein den Auftraggebern die hoffnungslose Überlastung der deutschen Lehrer, deutlich über die vierzig Wochenstunden hinaus. Seitdem haben es die Kultusminister sein gelassen, obwohl jeder von ihnen nach wie vor das Vorurteil nährt, Lehrer verdienten zuviel und täten zu wenig. Inzwischen arbeiten die Öffentlich Bediensteten noch weniger und die Lehrer noch mehr.

Ein neuer Ansatz soll jetzt die Wende bringen: Jede Schule erhält ihr Stundendeputat zugewiesen und muß per Konferenzbeschluß damit die Unterrichtsversorgung sicherstellen.(...) Wo Defizite auftreten, war es das Kollegium. Proteste bitte dort.

Selbstredend ist die Lehrerarbeitszeit regelungsbedürftig. Wo in den Behörden mit der Gleitzeit ohne nennenswerte Kontrolle die Selbstbestimmung der Arbeitszeit Idealzustände erreicht, ist Freiheit auch für die Lehrer aktuell. Was jetzt angeboten wird, ist aber nichts anderes als die Forderung nach freiwilliger Erhöhung der Arbeits- zeit für die meisten. Wer mehr Schüler ohne Neueinstellungen versorgen will, muß Mehrarbeit beschließen lassen. Wer bei den Beschlüssen gut wegkommt, bleibt bei seiner bisherigen Stundenzahl, wenn anderen dafür mehr aufgehalst werden kann. Was in den Kollegien sich abspielen wird, wenn mit Mehrheitsbeschlüssen für einzelne Lehrer und Lehrergruppen die Stundenzahl heraufgesetzt werden soll (...), ist ohne viel Phantasie vorstellbar.

Die Lehrerarbeitszeit im staatlichen Schulwesen kann (...) nur schulübergreifend und für alle vergleichbaren Lehrer einheitlich geregelt werden. Hier sind Verwaltung und vor allem Parlament gefordert. Nur so ist relative Gerechtigkeit herstellbar. Die Gerechtigkeit des politischen Handelns ist ohnehin nur die Gewähr von Gleichheit für die Betroffenen.

Aber tun wir mal so, als ob die Kollegiumsbeschlüsse zur schulbezogenen Neuverteilung der Lehrerstunden tatsächlich ohne Chaotisierung zustande kämen und Einsicht in die Notwendigkeit der Mehrarbeit bei den Lehrern vorhanden sei. Die einzelnen Schulen würden einen höchst unterschiedlichen Weg gehen. Solange ihnen der Staat die Schüler zutreibt, riskieren sie nichts. Mehr als schon jetzt würde das jeweilige schulische Leistungsniveau von subjektiven Gegebenheiten abhängen. Öffentliche Schule bringt aber nur Bildungsgerechtigkeit, wenn das Leistungsniveau vom Staat garantiert und zwischen den Schulen vergleichbar gehalten werden kann. Wo der Staat diese Verantwortung in die einzelnen Kollegien delegiert, gründet er das öffentliche Schulwesen zum Privatschulwesen um. Das kann gewollt sein. Nur muß dann auch freie Schulwahl gelten. Das aber ist eine andere Schule als sie die Sozialdemokraten gewollt haben. . Horst-Werner Franke, Senator a.D.