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Expertise: Hansawelle nicht zu retten

■ Privat-Radio-Macher analysiert RB-Programme: Hansawelle vergessen, RB 4 privatisieren

In ausgesuchten Schubladen der Chefetage von Radio Bremen liegt ein brisantes Papier: eine Analyse des ersten und vierten Hörfunk-Programms, also der „Massenwellen“ von Radio Bremen, erstellt durch einen der erfolgreichsten Vertreter des Privatfunks, durch Hermann Stümpert (ex-Geschäftsführer von RSH). 80.000 Mark teuer soll die Studie gewesen sein, ihr Ergebnis ist auf drei Seiten zusammengefaßt: Die Hansawelle ist sowieso nicht mehr zu retten, und das vierte Programm hat nur eine Chance, wenn es wie ein privates Radio geführt wird.

Auftraggeber der Studie, so wurde in einer Hauptabteilungsleitersitzung am 19.7. berichtet, ist das Direktorium. Das Gutachten darf nicht fotokopiert, sondern nur „eingesehen“ werden - danach verschwindet das Exemplar wieder in der Schublade. Das Stillschweigen nach außen ist perfekt: Gutachten von Stümpert? „Mir ist davon nichts bekannt“, sagt der Geschäftsführer des Direktoriums, Thies: „Der Intendant Klostermeier kennt das auch nicht, sonst wüßte ich das.“

Die Thesen der Studie sind aber längst durchgesickert, Programmdirektor Hermann Vinke erwartet, wenn er nächste Woche aus dem Urlaub zurückkommt, eine heiße Debatte: In nicht zu übertreffender Schärfe kritisiert Stümpert nämlich die Politik der kleinen Anpassungen, wie der Programmdirektor Vinke sie vertritt. Mit kosmetischen Operatiönchen und faulen Kompromissen sei nichts zu retten, das ist das Fazit der Stümpert-Expertise. Radio Bremen sei an einem Punkt angekommen, an dem nichts mehr zu verlieren sei. Insbesondere das Flagschiff des Senders, die Hansawelle, gehe an sich selbst kaputt: An der Elle privaten Hörfunks gemessen, geht es im Programm wie Kraut und Rüben durcheinander. Das Musik-Format hat kein System, eher zufällig ist die Verbindung von Wort und Musik, viel zu viel Wortanteil, Moderationsfehler. Wenn schon Doppelmoderation wie samstags früh - zum Beispiel - dann bitte etwas mehr erotische Spannung, findet Stümpert.

Klar, daß der eingefahrene Sender das nicht leisten kann. Das weiß Stümpert, deswegen will er wenigstens das vierte Programm retten - durch Privatisierung: ein neuer Name soll her, der Bezug zu „Radio Bremen“ sei nur eine Imagebelastung, die RadiomacherInnen sollen umziehen, jede räumliche Nähe zur Mutter aufgeben. Geführt werden soll das Programm wie ein Privatsender und auch unter absolutem Erfolgsdruck stehen. Der Wellen-Chef soll die Gelder für „Musik-research“, die Abfrage von HörerInnen-Geschmack also, erhalten, und wenn dann die angepeilten Einschaltquoten nicht erreicht werden, dann wird erst der Geschäftsführer gefeuert und dann, wenn auch das nicht hilft, das Programm eingestellt.

Die Ergebnisse der Media-Umfragen zeigen aber das Dilemma, das sich für Radio Bremen ergeben würde, folgte der Sender diesem Rat aus der Privatfunk-Ecke: Während 1988 noch 43 Prozent der Radio-HörerInnen im Sendegebiet die Hansawelle hörten, sind es heute noch 24 Prozent - viele der HörerInnen wechselten zur Tante, dem NDR 1.

Das 4. Programm wuchs in derselben Zeit in der Hörergunst - und erreicht heute gerade 6,9 Prozent. Und ausgerechnet hier kündigt sich die NRD-Konkurrenz des Jugendsenders „N-Joy“ an, der das Radio-Bremen-Sendegebiet bisher noch nicht flächendeckend erreicht. Kompromißlos kommerziell und mit großer Werbeattacke kommt N-Joy, prognostiziert Stümpert. Und wenn Radio Bremen 4 sich bis dahin nicht mit neuem Profil und neuem Namen das Image des „Jugendradios“ für nichtkommerzielle Oberschüler-Geschmäcker abgelegt hat - dann gute Nacht Radio Bremen: Dann, so der Fachmann im Auftrag des Direktoriums, verliert die Anstalt in den Augen der HörerInnen ihre Existenzberechtigung. K.W.

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