Sanssouci
: Vorschlag

■ Gérôme Castells Mitternachtsshow im Ex-Kreuz-Club

Zu Fanfarengedöns und Trompetengeschmetter kommt unsere Zugbegleiterin mit altertümlichen Koffern und im weiten Umhang hereingeweht. Wir sitzen im Mitternachtszug nach Georgia, eine Zugfahrt „ohne Wiederkehr“ verheißt die rauchige Stimme der Bahnhostess aus dem Mikro. Die Kerzen auf dem Kandelaber im Hintergrund brechen sofort und heftig in wächserne Abschiedstränen aus, wir indes lehnen uns entspannt zurück. Georgia ist noch fern, genug Zeit also für die Zugbegleiterin, um in Rotlicht getaucht aus dem Nähkästchen zu plaudern und über die Unmöglichkeit der Liebe zu singen. Dazu entblättert sie sich langsam: „Ich trage heute Zwiebellook, ich hoffe Sie brechen deshalb nicht in Tränen aus.“ Einige Zwiebelschalen später wußte die Dragqueen angeblich genau, wo wir jetzt hinsehen...

Sanfte Softsongs mit perlendem Klavier dringen (manchmal ein bißchen zu laut) aus den Lautsprechern, eine Stimme aus Watte schmeichelt sich in unser Ohr. Bei Frank Sinatra und Edith Piaf, in Hollywood und Paris, macht Gŕôme Castell musikalisch Station. Ihre Interpretationen sind perfekte Imitationen, niemals aber billiger Abklatsch. Die Verführerin mit dem ausgeprägten Hang zum Kitsch hat zwar gerade wieder einmal der Liebe abgeschworen, aber dem Prachtkerl „Amor“ kann sie doch ganz und gar nicht widerstehen. So führt sie uns durch Höhen und Tiefen dieses unentwegten Beziehungsdaseins, rezitiert dazu Erich Fried und Marlene Dietrich. Wenn man nun aber erzählen wollte, was sie sonst noch so zwischen den Liedern erzählt, dann klingt das schwarz auf weiß doch ziemlich unsäglich und platt. Live auf der Bühne aber hat Castell das unwiderstehliche Talent, auch die größten Peinlichkeiten so galant-charmant zu servieren, daß man ihr dafür die Hand küssen möchte. „Amor“ angesichtig, gerät ihr beispielsweise der Unterleib so in Hitze, daß der Dame der Tampon fast in Flammen aufgeht: „Stellen Sie sich das mal vor, wie das aussieht – ein Mädchen mit Zündschnur...“ Aber was ist schon eine Zündschnur, wenn man so unter Dampf steht wie diese Power-Transe? Selbst ihre Mama sitzt da begeistert im Publikum, als wir nach Liebesqualen beim rauschenden „I will survive“ ankommen. Leider dieses Mal nur im Playback, und da rudert die Queen doch ein bißchen zu heftig mit den Armen. Aber das tut längst nichts mehr zur Sache: Nächstes Mal im DB-Rentnerzug wünscht man sich garantiert so eine Bundesbahn-Begleitung. Petra Brändle

Dragqueen bei der Bahn: Gérôme Castell Foto: taz

Géôrme Castell: „A Midnighttrain to Georgia“, jeden Mittwoch im August um 22 Uhr im Ex-Kreuz-Club in der Bunker- Bar, Albrechtstraße, Mitte.