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„Erregung von Irrtümern“ bei Kliniken

■ „Blutpanscherprozeß“: Im Koblenzer Verfahren gegen Mitarbeiter von UB-Plasma wurde die Anklage verlesen

Koblenz (taz) – Am zweiten Verhandlungstag im Prozeß gegen fünf leitende- und angestellte MitarbeiterInnen der Firma UB- Plasma vor der 9. Strafkammer des Landgerichts Koblenz verlas Staatsanwalt Ralf Tries gestern die Anklageschrift. Danach sollen die Angeklagten nachweislich gemeinschaftlich vorsätzlich handelnd Arzneimittel mit schädlicher Wirkung (verseuchte Blutpräparate) in den Verkehr gebracht und dabei schwere Schädigungen – „bis zum Tode“ – von PatientInnen in Kauf genommen haben: ein Verstoß gegen Paragraph 5 des Arzneimittelgesetzes. In drei Fällen hätten sich die Angeklagten dabei der schweren Körperverletzung schuldig gemacht, denn nach Transfusionen mit Plasma von UB-Plasma seien in Kliniken in Fulda und Frankfurt/M. nachweislich drei Menschen mit HIV infiziert worden. In 140 Fällen glaubt die Staatsanwaltschaft den Angeklagten nachweisen zu können, daß sie sich durch „Erregung von Irrtümern“ bei Krankenhäusern und Pharmafirmen rechtswidrig Vermögensvorteile verschafft haben. Und in insgesamt 71.302 Fällen komme „versuchte Körperverletzung“ dazu – soviele Menschen wurden laut Staatsanwaltschaft mit Blutplasma von UB-Plasma behandelt. Dem angeklagten UB- Chef Ulrich Kleist und seinem Vize Bernhard Bentzien wird darüber hinaus vorgeworfen, gegen das Handelsrecht verstoßen und falsche eidesstattliche Versicherungen abgegeben zu haben, um Liquiditätsprobleme der Firma zu verschleiern.

Akribisch listete Staatsanwalt Tries die Kliniken und Pharmafirmen auf, die von UB-Plasma in den Jahren 1988 bis 1993 mit Plasma beliefert worden waren. Dabei habe gerade der Angeklagte Bentzien gegenüber den Kunden immer wieder betont, daß es sich um „Qualitätsprodukte“ gehandelt habe. Für die Staatsanwaltschaft steht dagegen fest, daß bei UB- Plasma „Blutspender aus Aids-Risikogruppen“ (Tries) als „Mehrfachspender“ registriert waren. Weiter sei bei UB-Plasma das Blut mehrerer Spender unzulässigerweise gemeinsam getestet („gepoolt“) worden. Und ab 1992 sei selbst auf das vorgeschriebene fototechnische Prüfverfahren verzichtet und „visuell ausgewertet“ worden. Staatsanwalt Tries weitete deshalb die auf „Beihilfe“ lautende Anklage gegen Laborassistentin Gunhild Jacobus auf „Mittäterschaft“ aus.

Die Verteidigerin von UB-Geschäftsführer Kleist, Rechtsanwältin Boxleitner, wies die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft zurück. Das Blutplasma der Firma sei „kein schädliches Arzneimittel“ gewesen, denn bei mehr als 70.000 Patienten sei keine schädliche Wirkung eingetreten. Bis 1993 habe es keine wissenschaftlich haltbaren Erkenntnisse über die Schädlichkeit von „Pooling“ gegeben. Die Weltgesundheitsorganisation halte das „Pooling“ von bis zu fünf Einzelproben noch heute für unbedenklich, so Boxleitner. Der Prozeß ist bis Ende Oktober terminiert. Klaus-Peter Klingelschmitt

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