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„Die Glatzen überfallen hier oft Leute“

■ Am Wochenende wurde Gunter M. in Velten von vier jungen Männern brutal erschlagen

Velten (taz) – Gunter M. hatte Familie. Mit Frau und drei Kindern wohnte er in Velten, einem kleinen Ort mitten im Speckgürtel von Berlin. Gunter M. wurde in der Nacht vom Freitag zu Samstag erschlagen. Ein 18jähriger Mann holte ihn vom Fahhrad herunter, schlug auf ihn ein, fragte nach Geld. Als Gunter M. sagte, er habe keines bei sich, schlug sein Mörder Maik L. mit einem Schraubenschlüssel zu. So lange, bis Gunter M. nicht mehr zuckte.

Seit gestern hängt ein Kreuz an dem Baum, unter dem der Mord geschah. „Warum?“ steht darauf. Friedhelm Lennarzt aus Berlin hat es dort mit einem Metalldraht festgezurrt. Vier Sträuße mit weißen und roten Astern hat der Mann von der „Mahnwache vom Brandenburger Tor“ davorgelegt. Früher tat er dies für die Erschossenen an der Berliner Mauer. Jetzt tut er das Gleiche für die Opfer von Neonazis. „Warum hat das niemand von Euch getan“, fragt Lennarzt die wenigen, die stehenbleiben und ihm zuschauen. Achselzucken allenthalben. „Die Glatzen“, sagt eine 55jährige, „überfallen hier regelmäßig Leute. Aber umgebracht haben sie bislang keinen.“ Schlecht und verroht sei die Welt. Aber etwas dagegen tun, „nein, das kann doch keiner“.

So wie sie gehen die meisten einfach an Lennarzt vorbei. „Das mit dem Kreuz bringt ja doch nichts“, sagt ein Rentner, „lynchen müßte man die.“ Auch er traut sich an Sommerabenden kaum auf die Straße. Neulich, beim Badesee, hätten vier Glatzen versucht, ihn anzuhalten. Die wollten ihn bestimmt ausrauben. Velten, dieses 10.000 Einwohner zählende Kaff, ist ein bekanntes braunes Nest. Das „Förderwerk mitteldeutsche Jugend“ firmiert hier und auch die „Deutsche Jugend Initiative“, die vor einem Monat zum großen Neonazi-Abend des deutschen Liedguts in Rüdersdorf eingeladen hatte. Aus der rechten Szene kommen auch die Mörder von Gunter M. Zwei Stunden nach der Tat nahm die Polizei vier junge Männer zwischen 18 und 20 Jahren fest. Darunter Maik L., der seit Juni polizeilich gesucht wurde. Gegen ihn lief ein Haftbefehl, weil er in der Nähe von Velten einen Portugiesen niedergeschlagen hatte. Einen Bundeswehrsoldaten ließ die Polizei wieder laufen. „Er hat bloß sturztrunken im Wagen gesessen, haben die anderen drei ausgesagt.“ Oberstaatsanwalt Rautenberg kann aufgrund der Aussagen der drei anderen, die in U-Haft sitzen, die Tat rekonstruieren.

Maik L., Uwe Sch., Maike K. und Thomas S. becherten mit anderen Glatzenfreunden am nahegelegenen See. Gegen 12 Uhr nachts wollten sie in eine Disco fahren, doch keiner von ihnen hatte das nötige Geld. Also planten sie einen Überfall. Maik L. saß bewaffnet mit einem Schraubschlüssel auf der Beifahrerseite und wartete auf ein Opfer. Als Gunter M. mit seinem Rad an dem parkenden Auto vorbeikam, sprang L. heraus, schlug mehrmals zu. Als er bei dem Erschlagenen kein Geld fand, rief er seinen Freunden zu: „Die Sau hat nix dabei.“ Die vier fuhren davon. Sie drehten eine Runde durch das Dorf, kamen wieder, und erneut trat Maik L. auf das Opfer ein. „Der wollte sichergehen, daß der Mann tot ist“, sagt Oberstaatsanwalt Rautenberg. Dann suchten die vier sich ein neues Opfer.

Nur wenige hundert Meter vom Tatort entfernt treffen sie das Ehepaar F. Den Mann überfallen sie auf die gleiche Art wie Gunter M. Diesmal schlägt Uwe Sch. zu. Maike L. hält derweil der Ehefrau des Mannes den Mund zu und durchsucht ihre Handtasche. Als er die Geldbörse mit 75 Mark findet, läßt er die Frau los und flüstert ihr noch ein „Entschuldigung“ zu. Dann haut die Gruppe ab, fährt wenig später zur Disco. Dort verhaftet sie die Polizei. Bei der Durchsuchung der Wohnung von Uwe Sch. finden die Beamten einen Baseballschläger. Im Griff ist ein Hakenkreuz eingeritzt, daneben steht: Sieg Heil. Der Staatsanwalt rechnet mit einer raschen Anklage. Annette Rogalla

Am Samstag um 10 Uhr findet ab dem Bahnhof in Velten ein Schweigemarsch gegen Rechts statt

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