: Die UNO abschaffen?
■ betr.: „Alles steht und fällt mit den USA“, taz vom 3.8.94
Wer einst die Hoffnung hegte, daß es der UNO gelingen könnte, die Grundlagen für eine multikulturelle Weltordnung mit gleichberechtigten Staaten zu schaffen, muß spätestens seit dem zweiten Golfkrieg und der Intervention in Somalia zu der Einsicht gelangen, daß dies nicht von einer Organisation geleistet werden kann, die dem Weltherrschaftsanspruch der USA machtlos ausgeliefert ist.
Dies manifestiert sich nicht nur in der finanziellen und räumlichen Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten, sondern auch in den fehlenden Möglichkeiten der UNO, die USA zu zwingen, die Charta der Vereinten Nationen zu respektieren und das Völkerrecht einzuhalten.
Wenn es weder Organisationen noch Staaten gibt, die dem Führungsanspruch der USA etwas entgegensetzen, führt dies zwangsläufig zu einer US-Weltdiktatur, deren katastrophalen Folgen sich kaum jemand entziehen kann. Daß wir uns bereits auf diesem Wege befinden, hat der zweite Golfkrieg und in diesem Zusammenhang der Umgang der USA mit den Vereinten Nationen gezeigt. In einem uns vorliegenden Brief schrieb Henry B. Gonzales, Mitglied des amerikanischen Kongresses, zur Rolle der UNO: „Der Präsident bestach, bedrohte und schüchterte Mitglieder des UN-Sicherheitsrates ein, um die kriegerischen Aktionen gegen den Irak zu unterstützen. Die USA bezahlten schließlich nach der angestrebten Abstimmung 187 Mill. Dollar ihrer Schulden an die Vereinten Nationen. (...)
Sicher sind die Aktionen des Präsidenten eine Verletzung der Verfassung der USA, der UN- Charta und anderer nationaler und internationaler Gesetze gewesen. Unsere Soldaten im Mittleren Osten sind überwiegend arme Weiße, Schwarze und mexikanische US-Bürger. Sie mögen Freiwillige sein, aber ihre Freiwilligkeit basiert auf dem Zwang eines Systems, welches lebensfähige ökonomische Möglichkeiten für diese Klasse der Bürger verleugnet.“
Der Golfkrieg war nie ein Krieg der UNO, auch wenn einschlägige Medien versuchen, dies der Öffentlichkeit zu suggerieren. Hierzu erklärte der ehemalige UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar: „Dies ist kein Krieg der Vereinten Nationen. Die Vereinten Nationen kontrollieren die Operationen nicht, es gibt keine UNO-Flagge, keine Blauhelme oder irgendeine Mitwirkung des Militärausschusses.“ Dieser Krieg war eine von den Vereinigten Staaten provozierte und langfristig geplante Inszenierung, die in einem Massenmord an der irakischen Bevölkerung endete und die UNO schwächte.
Nach Meinung des ehemaligen UNO-Diplomaten C. C. O'Brien werden die Vereinten Nationen seit dem Wegfall des Sowjet-Vetos zum „erwählten Instrument einer globalen Pax Americana“. Präsident Clintons Vorstellungen von Amerikas „einzigartiger Führungsrolle“, die „durch multilaterale Werkzeuge wie die UNO“ weiter ausgebaut werden soll, bestätigen dies (vgl. Der Spiegel 29/1993, S. 19). [...]
Bei einer bundesweiten Anhörung zum Golfkrieg am 30. November 1991 in Stuttgart stellte auch der norwegische Friedensforscher Johan Galtung fest, daß die USA mit ihren Verbündeten einen solchen barbarischen Krieg geführt hätten, um die „pax americana“ auf Weltebene durchzusetzen. Galtung wirft den USA einen starken Hang zu Sendungsbewußtsein und Selbstgerechtigkeit vor. Seit 1804 hätten die USA mindesten 200mal militärisch interveniert. Wie Galtung weiter ausführte, hätten Demokratien bisher mehr Kriege geführt als Nicht-Demokratien. Demokratien seien nicht automatisch friedensfähig, da sich in ihnen oft der Überschuß an Gewaltpotential nach außen wende und die Kriege den gewählten Politikern zur Wiederwahl verhelfen könnten. Die meisten Kriege in den letzten Jahrzehnten seien von den USA, Großbritannien, Frankreich und Israel geführt worden.
Angesichts all dieser Tatsachen sehen wir uns mit einer Weltmacht konfrontiert, die skrupellos ihre imperialen Interessen durchzusetzen weiß, militärisch nicht zu besiegen ist und über ein Nachrichtenmonopol verfügt, mit dem sie all ihre Handlungen rechtfertigen kann.
Diese Weltordnung aufrecht zu erhalten, liegt auch im Interesse der europäischen Staaten, solange es möglich ist, durch eine gemeinsam mit den Vereinigten Staaten praktizierte Ausbeutung der „Dritten Welt“ Gewinne zu erzielen. Da man aber kräftig dabei ist, die Kuh zu schlachten, die man melken will, ist es nur noch eine Frage der Zeit, wie lange der Kuchen groß genug bleibt, um noch etwas aufzuteilen. Der Zeitpunkt ist absehbar, wo es zu einem Verteilungskampf zwischen Europäern und Amerikanern kommen wird. Dann darf in den USA auch wieder über die Vernichtung Europas nachgedacht werden.
Die Vereinten Nationen sind für die USA nur als Instrument zu ihrer weltweiten Machterhaltung von Bedeutung. Angesichts dieser Tatsache stellt sich die Frage nach Abschaffung der UNO. Wer die UNO reformieren will, muß auch sagen können, wie er die USA dazu bewegen will, auf ihr Gewaltmonopol zugunsten einer übergeordneten Institution zu verzichten. Ansonsten bleibt die UNO, was sie ist: eine im Interesse von wenigen Industriestaaten agierende Kolonialbehörde. Gerhard Lange, Gesellschaft für
Internationale Verständigung
(GIV), Göttingen
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