: „Ich hatte keinerlei Verdacht“
Im Solinger Mordprozeß sagte gestern die Mutter des Angeklagten Felix K. aus / Sie ist von der Unschuld ihres Sohnes überzeugt / Mutter recherchiert auf eigene Faust ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs
Marianne K. erzählt jedes Detail. Leise, eloquent wie kaum eine Zeugin vor ihr, sachlich, konzentriert schildert sie die ersten Tage nach dem mörderischen Solinger Brandanschlag. Stundenlang. Dann versagt ihre Stimme, treibt die Erinnerung ihr die Tränen ins Gesicht. Sie bringt gerade noch den Satz zu Ende, den sie im Fernsehen aus dem Munde des Generalbundesanwaltes in jenen Juni- Tagen des vergangenen Jahres vernommen hat. „Es ist vom Ermittlungsrichter Haftbefehl erlassen worden.“ Haftbefehl auch gegen ihren Sohn, der sie kurz vor dem Termin beim Karlsruher Ermittlungsrichter noch ermutigt hatte, „Mama, mach dir keine Sorgen. Bald wird sich herausstellen, daß ich unschuldig bin.“ Inzwischen sitzt Felix K. zusammen mit drei weiteren jungen Männern seit einigen Monaten auf der Anklagebank des Düsseldorfer Oberlandesgerichts, angeklagt, den mörderischen Brandanschlag in der Nacht zum Pfingstsamstag des vergangenen Jahres begangen zu haben. Ein Anschlag, der fünf türkischen Mädchen und Frauen das Leben kostete.
Dieser gräßliche Mord, der im zähen Alltag des Düsseldorfer Prozesses durch einige unsägliche Zeugenauftritte schon ein ums andere Mal aus dem Blickfeld zu geraten drohte, ist am Mittwoch morgen wieder allen Prozeßbeteiligten präsent. Auch Sündoz Saygin, die zusammen mit ihrem äußerlich ruhig wirkenden Vater Mevlüde Genc in den Reihen der NebenklägerInnen sitzt, kann ihre Emotionen nicht unterdrücken. Mit rotgeweinten Augen verläßt die junge Frau, die in der Mordnacht zwei Schwestern und drei weitere Verwandte verloren hat, vorübergehend den Gerichtssaal.
Marianne K. teilt das Entsetzen über die Tat. Daß ihr siebzehnjähriger Sohn, der wie der Mitangeklagte Christian B. seit seiner Festnahme jegliche Tatbeteiligung bestreitet, für das Verbrechen mitverantwortlich sein könnte, glaubt Frau K. nicht. Zusammen mit den Verteidigern ist sie davon überzeugt, daß hier Unschuldige auf der Anklagebank sitzen. Schwer belastet wird Felix K. von dem ebenfalls angeklagten Markus G., der im Gericht gestanden hat, er und seine drei Mitangeklagten hätten das tödliche Feuer gelegt.
Als die Beamten des Bundeskriminalamtes Felix K. ein paar Tage nach dem Anschlag als Tatverdächtigen abholten, waren die Eltern völlig überrascht. „Ich hatte keinerlei Verdacht“, sagte Frau K. gestern. Gleichwohl habe sie schon beim ersten Gespräch den Anwalt gebeten, er solle ihren Sohn auffordern nichts zu verschweigen „und die Wahrheit zu sagen“. Doch Felix blieb dabei: „Ich bin unschuldig.“
Auf die Hilfe der Eltern setzte auch das BKA. Am 8. Juni durften beide unkontrolliert im Gefängnis mit ihrem Sohn sprechen, „um ihm ein Geständnis zu erleichtern“. Einen „roten Teppich“ haben sie nach den Worten der Mutter ausgerollt, um die Wahheit zu erfahren. Sie habe ihm gesagt, daß sich auch bei einer Tatbeteiligung „zwischen uns nichts ändert, daß wir ihn trotzdem lieben“. Sie habe ihm sogar auf eigenen Antrieb hin „Fangfragen“ zum Tatort gestellt und dabei sei ihr „völlig klar“ geworden, daß „er das Haus näher und genauer gar nicht kannte“.
Seither recherchiert Marianne K. auf eigene Faust. Frau K. hat viele Verbindungswege der rechtsradikalen Szene in Solingen um die berüchtigte Kampfsportschule des enttarnten Verfassungsschützers Bernd Schmitt herum zu erhellen versucht, doch eine neue Spur kam dabei bisher nicht zutage. Glaubt man dem geständigen Markus G., dann wird sich daran auch nichts mehr ändern. G., der sein Geständnis zwischenzeitlich einmal widerrufen hatte, um dann erneut zu gestehen, hatte aus dem Knast heraus an die Hinterbliebenen der Opfer geschrieben: „Wir sitzen alle zu Recht in Haft.“ Wie viele Freunde von Felix K. glaubt auch Marianne K., daß dieses Geständnis allein dem Vernehmungsdruck und der falschen anwaltlichen Beratung geschuldet ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen