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Die Faust mit den abgebissenen Fingern

■ „Danza Abierta“ mit vier Choreographien aus Kuba beim Sommertheater Festival

Während noch das Publikum auf den Einlaß wartet, beginnt im Foyer der Halle 2 ein Gastspiel aus Kuba. Eine schwarzgekleidete Frau kämpft mit Gabel und leerem Teller. Schließlich beginnt sie, die Finger ihrer linken Hand zu essen. Übrig bleibt die nackte Faust, doch wohin mit dem peinlichen Relikt? Wie zufällig hebt sie sie ausgestreckt schräg gen Himmel: eine neue, bitterböse Interpretation des alten Kampfsymbols der Arbeiterklasse.

Mit dieser „Fast Food“ betitelten Pantomime eröffnet Marianela Bon, die Leiterin des 1988 in La Habanna gegründeten Tanzensembles Danza abierta, in europäischer Erstaufführung einen Abend mit vier kubanischen Choreographien aus den letzten fünf Jahren. Tänzerin, Choreographin und Professorin Marianela Bon gab der staatlich geförderten Gruppe aus sechs jungen kubanischen Tänzern die Bezeichnung „offener Tanz“, da sie ihre Choreographien auch für nicht-tänzerische Stilmittel offenhält. Die aber kamen kaum zum Einsatz.

In „Antigona“, einem magischen Trauertanz, versuchte Xenia Cruz als griechische Heldin ihren toten Bruder Polyneikes zum Leben zurückzutanzen. Die Darstellung zur Musik von David Byrne war von der griechischen Tragödie auf überzeitliche Frau-Mann, Mutter-Sohn-Beziehung gehoben. Jos Angel Hevia als nackter Leichnam brachte dabei das Kunststück fertig, in äußerster Körperbeherrschung passiv und todesschlapp zu tanzen.

Ganz anders „Dos“ („zwei“) – trotz seines Titels ein Solotanz. Grettel Montes de Oca erfüllt die ganze Bühne mit überwältigender Zwiespältigkeit. Zur schwebend dräuenden Minimalmusik von Steve Reich folgt ihr Körper den eigenen nach rechts oder links, oben oder unten zeigenden Gesten. Doch den herrischen Richtungsvorgaben ist mit einem Körper nicht nachzukommen. Hin- und hergerissen findet die Tänzerin nur in einer verschlungenen Verzweiflungsgeste kurze Ruhe. Kopfschüttelnd aus der Tiefe der Bühne sich annähernd und nickend wieder zurückweichend, spielt sie alle Arten von Widersprüchen durch. Mitunter trennt zudem noch das Licht den Kopf von den Beinen. Der Untertitel gibt vor: „Zwischen Körper und Geist, ein Abgrund“, doch es ist unvermeidlich, viel direkter an die aktuelle, chaotische politische Situation Kubas zu denken.

Die Reihe endet mit „Desnuda“. In fast religiöser Inbrunst präsentieren zwei Frauen ihre nackten Körper in orangenem, rotem und lila Licht zu Ennio Morricones Musik aus dem Film The Mission über den Jesuitenstaat in Paraguay und dem barocken Chorus „Oh Einsamkeit“ von Henry Purcell. Vielleicht Kritik am Posing athletischer Afroamerikanerinnen für den herrschaftlichen Blick, oder eher der Versuch, dem nackten, schwarzen, weiblichen Körper seine Würde und Ausdruckskraft zurückzugeben? Die Grenze zum schlichten Kitsch ist doch schwimmend und streift die Ästhetik des Rotlichtbezirks, besonders wenn der Sitznachbar pausenlos fotografiert.

Nach einer knappen Stunde und pflichtschuldigem Applaus hatte sich die Irritation von „Dos“ durchgesetzt: Am Ausgang war im Publikum doch eine gewisse Ratlosigkeit über diesen Tanzabend zu hören.

Hajo Schiff

Noch heute und morgen, 20 Uhr, Kampnagel, Halle 2

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