: Eine Stadt geht ihrem Trott nach
■ taz-Serie 5. Teil: Hinrich Baller zur Unmöglichkeit einer Vision für die Hansestadt
Hat Hamburg überhaupt noch eine Perspektive, fragt man sich beim Spaziergang durch die Hammerbrookstraße, von der aufregenden Großmarkthalle der Nachkriegszeit herkommend nach Norden durch den jüngsten Stadtteil wandelnd, die City Süd. Hier hat der Kahlschlag des 2. Weltkrieges Hammerbrook vernichtet, und ein neuer Stadtteil ist entstanden. Wahrscheinlich der häßlichste Stadtraum auf Dauer: öde, unbewohnt, langweilig im Bild trotz Ziegel und Fleetufern – einfach daneben! 3 Monate Architektur-Sommer haben in Diskussion und Einzelbeispiel punktuell Architektenhochstimmung aufkommen lassen, die hier augenblicklich vor der Realität verfliegt.
Hamburg verleugnet seine Vielschichtigkeit
Zum 125. Geburtstag des großen Konservativen der Stadt, Fritz Schumacher, feierte die Architektenszene 3 Monate. Schumacher übernahm 1909 Hamburgs Baubehörde. Zu dieser Zeit waren die Fagus-Werke von Walter Gropius schon gebaut, das „Neue Bauen“ also geboren. Die Chicagoer Schule eines Sullivan war schon Baugeschichte, und Hamburg verfügte über einen Stadtraum mit erstklassigen Kontorhäusern (Bieberhaus, Kaufmannshaus, Gedinghaus und viele andere), die in Funktionalität und Erscheinung trotz ihrer Chicago-Sehnsucht vorbildlich geblieben sind. Die neuen Stadtteile Harvestehude, Rotherbaum, Elbchaussee bis Blankenese strahlten weltstädtische Größe aus und gaben den eigentlichen Hamburgern ihre Adresse. Die Stadt war mit einer Infrastruktur in S- und U-Bahn, Wasserstraßen und Hafenanlagen versorgt, die ihresgleichen in Europa suchen konnte. Vereinzelte Ingenieurbauwerke zeugen noch heute von dem versunkenen Weltmaßstab, dem wirklichen Tor zur Welt (Hauptbahnhof, Speicherstadt, Werftanlagen, Luftschiffhalle in Fuhlsbüttel, Reitbahn Rotherbaum, die Wohngebiete der Bauvereine wie Schiffszimmerer etc. und die prachtvollen Gartenanlagen).
Demgegenüber nehmen sich die heutigen Ganzlichter des Architektur-Sommers eher dürftig aus, vereinzelt in einer Stadt, die ihrem Trott nachgeht, Experimente scheut und die eigene Vielschichtigkeit verleugnet.
An drei Stellen hatte ich Gelegenheit, mich in diesen Trott, den man hier Trend nennt, einzumischen.
Die HfBK: Ein Beispiel von Schwerfälligkeit
Hamburgs Kunsthochschule am Lerchenfeld, seit 25 Jahren mein Arbeitsplatz zwischen Liebe und Haß, hat Walter Gropius' Bewerbung ausgeschlagen, sonst wäre dort das Bauhaus entstanden – kaum vorstellbar. Ihm wäre damals eine Meisterklasse, zuzüglich zur Lehre, ausreichend gewesen, aber dazu fehlte die Bereitschaft. Obwohl das von Fritz Schumacher in den ersten Jahren seines Hier-seins erbaute Haus am Lerchenfeld vom Inhalt her deutlich Bauhauszüge trug: freie Kunst, angewandte Kunst verbunden mit Werkstätten, Bibliothek und Vogelhaus, Garten, Kunst und Werk unter einem Dach.
Die Architektur blieb ein wenig geprägt von Schumachers Schwerfälligkeit, und doch stellte sich die Hansestadt mit der pompösen Eingangshalle bei der Werkbundausstellung 1914 vor. Zur gleichen Zeit wie Bruno Taut sein epochales Glaskristall für die deutsche Glasindustrie vorstellte, mit dem Scherbart-Spruch „Das Glas bringt uns die neue Zeit, Backstein-Kultur tut uns nur leid“.
Schaue ich auf das Vierteljahrhundert eigener Tätigkeit auf dem Lerchenfeld zurück, so erscheint ein buntes Kaleidoskop von Einzelerscheinungen, aber alles, was Schule hätte machen können, wurde unterbunden durch die Kargheit der Mittel, das fehlende Bewußtsein, die mangelhafte Öffentlichkeit und die Erschöpfung der engagierten Individuen, die im allgemeinen Sumpf steckenzubleiben schienen.
Selbst die, neben Freiherr von Buttlar, wohl brillanteste Vertretung auf dem Präsidentenstuhl der Hochschule, Adrienne Goehler, wird von innen und außen zerrieben, weil ihr geistiger Lehrmeister Joseph Beuys war und ihr bohrendes Fragen Altherrenriegen aufschreien läßt, statt der Hochschule die Fenster zu öffnen. Gemeinsam mit mir als Architekten bemüht sich die Präsidentin seit vier Jahren, die bei Sturm tatsächlich einstürzenden Fenster des Hauses mit dem gesamten Schumacherbau sensibel zu sanieren: erfolglos. Wie soll dann in dieser Stadt eine Vision entstehen, wenn selbst in dem Hort der freien Kunst Bewegung unmöglich gemacht wird?
Tod durch SPD-Mauschelei: die Zigeunerwiesen
Schumachers später, aber nicht minder engagierter Nachfahre, Egbert Kossak, suchte zusammen mit dem Bezirk Hamburg-Mitte Luft in den Hamburger Wohnungsbau zu bringen. Um die etwas zu steif geratene städtebauliche Situation an der Zigeunerwiese im Bereich der Schiller-Oper zwischen Lerchenstraße und Bernsdorffstraße zu liften, nahm er mein erfolgreiches Projekt der Internationalen Bauausstellung (IBA) 1984 in Berlin am Fraenkelufer in Kreuzberg zum Anlaß und betreute mich mit dieser Aufgabe.
Der Lerchenhof, eine Initiative von Jugendlichen einschließlich einer Frauengruppe für Stahlbau, einer Tischlerei etc. war dort in besetzten Häusern geduldet tätig. Aufmerksame Bewohner betrachteten die Stadtentwicklung an der Zigeunerwiese argwöhnisch, und in Bürgerversammlungen haben wir heiß gestritten und schließlich ein sehr lebendiges Projekt entstehen lassen. Es verband viel Erhalt alter Bausubstanz mit neuen Akzenten und überzeugte schließlich sowohl den Stadtplanungsausschuß des Bezirkes wie die Anwohner, so daß die Stadt das Projekt einer Hamburger Baugenossenschaft zur Realisierung an die Hand gab. Die Genossenschaft nahm dies zunächst gelassen auf, um nach einem Jahr treu dem SPD-Filz das Projekt für unbaubar zu erklären und einen erfahrenen SPD-Funktionsträger namens Neumann mit dem Projekt zu beauftragen.
Nach einer Klage meinerseits stellte sich vor Gericht heraus, daß alle Argumente gegen das ungewöhnliche Projekt frei erfunden waren und von den korrekten Planungs- und Bauprüfbeamten dem Gericht gegenüber in nichts bestätigt werden konnten. Die Genossenschaft mußte das Projekt zahlen. Der Erfolg: Es gab kein Anschauungsmodell 1:1 eines Wohnexperiments mit 145 Wohnungen zum ArchitekturSommer. Vielmehr passierte überhaupt nichts.
Mittelmaß hinter NATO-Draht
Modelle für ein selbstbestimmtes, soziales Bauen scheinen aber auch an anderer Stelle unerwünscht: Seit 12 Jahren ringt die Stadt um die Hafenstraße, Hamburgs älteste und berühmteste besetzte Häuser. Wenn es überhaupt je dort – außer in den Medien – junge Wirrköpfe gegeben hat, objektiv stellt sich der Verein und die Genossenschaft Hafenstraße spätestens seit Dohnanyi's mutiger Vermittlung als soziale Gruppe dar, die nach innen bewundernswerte Sozialarbeit leistet und nach außen immer wieder beweist, daß sie auch mit schwierigen Randgruppen einen Umgang findet und hilft, wo es geht.
Die Integration in das Quartier, die Anerkennung von Schule, Kirche, den grauen Panthern, der St. Pauli Szene, den Parteienvertretern, Intellektuellen und Hochschulvertretern bis hin zu Hamburgs ehrwürdiger Patriotischer Gesellschaft und in Hamburgs Kaufmannsszene ist unbestritten.
Keineswegs unbestritten ist dagegen das Verhältnis zu Henning Voscherau, der hier alte Wahlparolen glaubt durchhalten zu müssen. Für das gesamte Areal der Hafenstraße, einschließlich 8.000 qm Neubauflächen, hat die junge Gesellschaft mit mir als planendem Architekten ein Bauprojekt erarbeitet, unter sehr liebevoller Einbeziehung der Altbauten entsprechend der alten Hafenstraßenatmosphäre, und mit einem Neubau, in den die Gesellschaft ihr ganzes soziales Engagement für Hamburg hätte einbringen wollen. Ein Kindergarten für das Quartier, ein Bad als Kompensation für die vielen Wohnungen vor Ort ohne Bad, alter Hamburgischer Tradition folgend, Räume für Aktivitäten und Betreuung sozialer Randgruppen und schließlich ein großer Raum für den Stadtteil, für Diskussionen, Konzerte, Feste von Familien und Gruppen. Darüber schließlich, um einen gemeinschaftlichen Hofgarten herum, Wohngeschosse für circa 70 Wohnungen, deren Gliederung von den Bewohnern selbst gestaltet werden konnte.
Kaum ein Projekt am Hafen hat innerhalb und außerhalb Hamburgs ein positiveres Echo gefunden als dieses innerstädtische Gemeinschaftsmodell, das Zukunft für Hamburg und eine positive Geste gegenüber seiner Jugend hätte sein können – Stadtentwicklung konkret vor Ort. Henning Voscherau zog es vor, mit hauseigener Gesellschaft auf Staatskosten Mittelmaß hinter einem Nato-Zaun zu errichten – gegen jede soziale und ökonomische Vernunft.
Kleinkarierter Entscheidungsfilz
Hamburgs Schwäche und Innovationsbremse liegt nicht in der Verwaltung, deren Beamte ich heute noch weltstädtischer und weitsichtiger einschätze als etwa die Berlins, die mir vertraut sind. Es liegt auch nicht am Fehlen der Ideen und schon gar nicht am Kaufmannsgeist, dem immer noch ein Hauch von Venedig anhaftet. Aber diese bauen nicht Hamburg, sondern internationale Kapitalflüsse im kleinkarierten Entscheidungsfilz. Gorbatschow: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“
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