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Klassizismus rules ok!

Tanz im August – Ein Zwischenbericht zum Festival im Hebbel-Theater  ■ Von Michaela Schlagenwerth

Punk is not dead. Das zeigen nicht nur randalierende Punks in Hannover, sondern auch Michael Clark und seine Company im Hebbel-Theater. „O“, Michael Clarks Tanz-Version zu Strawinsky „Apollon“, dürfte der Höhepunkt des diesjährigen „Tanz im August“-Festivals sein: Dem Londoner Choreographen gelingt eine schillernde Mutation zwischen Punk und Neoklassizismus. Strawinsky als Urgroßvater des Punk? Klassizismus rules ok?

Michael Clark geht rückwärts in der Chronologie: Er beginnt mit den Sex-Pistols-Erben P.I.L., arbeitet sich zu den Original Sex Pistols vor und landet im dritten Teil schließlich bei Strawinsky. Seine hochartifizielle, am klassischen Bewegungsvokabular orientierte Choreographie funktioniert in beiden Fällen kongenial. So hermetisch in sich geschlossen und gleichzeitig völlig durchlässig wie die Grammatik der Bewegungen ist der abstrakte Bühnenraum: Eine Reihe von weißen Drehtüren vor der leeren Fläche, verspiegelte Wände und eine autistische Spiegelzelle – kühl, hell und nüchtern entfaltet der Bühnenraum eine Balance zwischen Sterilität und verträumtem Kitsch. Neu hinzukommende Tänzer werden so unauffällig in die Bewegungslinien integriert, als seien sie durch die Wände gegangen. Wenn die ganze Rückwand in den Schnürboden hochgezogen wird und der Raum bis zur Brandmauer aufgerissen ist, wird der Eindruck einer geschlossenen Welt noch intensiviert: ein völlig irrealer Ort, unerreichbar und fremd. Die Bewegungen bauen extreme Spannungen auf, lassen sie fallen, um sie gleich wieder herzustellen... Ein raffiniertes Uhrwerk.

Michael Clark hat mit „O“ eine konsequent durchgehaltene und in jeder Hinsicht verdichtete Welt der Paradoxien aufgebaut, in der man nicht mehr nach Bedeutungen fragt und nur noch atemlos zuschauen kann. Eine angepunkte Drogenwelt trifft auf die unsterblichen apollinischen Götter, bis zuletzt die Gesetze des Todes außer Kraft gesetzt scheinen: Die Geburt des Apollon, mit der das Stück eigentlich beginnt, ist hier zu Strawinskys Klängen der letzte Teil der Choreographie – Michael Clark alias Apollo befreit sich aus einer Spiegelzelle und setzt einen Reigen der Selbstbespiegelungen in Gang. Der Tod steht am Anfang: „I want to die“, krähte da Mr. Lydon alias Johnny Rotten aus dem Off, derweil der zu P.I.L.-Zeiten längst durch Selbstmord verstorbene Sex-Pistols-Bassist Sid Vicous samt seiner von ihm ermordeten Freundin per Video über die Bühne flimmert. „O“ ist auch eine Reflexion auf den eigenen künstlerischen Werdegang: Michael Clark, der schon als Dreizehnjähriger zum kommenden Star von Covent Garden gekürt wurde, wegen Drogen von der Royal Ballet School flog und seine eigenen, punkigen Wege ging, kehrt zur Klassik zurück: als Wiedergeburt aus dem Geiste des Punk. Vielleicht wird er eines Tages tatsächlich zum Star von Covent Garden. Aber sicher ganz anders, als es sich das konservative Ballettpublikum vorstellt.

Mit dem Tod beschäftigt sich auch François Raffinots Tanzstück „Adieu“, mit dem das Festival eröffnet wurde. „Adieu“ ist eine Hommage auf einen der bedeutendsten zeitgenössischen französischen Choreographen: den im letzten Jahr verstorbenen Dominique Bagouet. Raffinot setzt einen Reigen des Unheils in Gang, einen blutigen und zugleich formvollendeten Abschied. Zu Pascal Dusapins „Medea“-Oper (nach Heiner Müllers „Medea-Material“) tanzen vier Tänzerinnen und drei Tänzer ihrem Untergang entgegen. In streng abgezirkelten, geometrischen Gesten, elegant, verhalten und jeden exzessiven Ausbruch vermeidend, beschwören sie Medeas Rachepläne. Sie mutieren zu Wesen, an denen alle Geschichte abprallt, merkwürdig willenlos und doch zur letzten Konsequenz den Tod suchend.

In fünf Phasen hat François Raffinot, inspiriert von Rimbauds „Vokalen“, sein Tanzstück eingeteilt: schwarz, rot, grün, blau und gelb. Mit jeder neuen Farbe erscheinen weniger Tänzer auf der Bühne, die Frauen und Männer voneinander isoliert. In der Abwesenheit des jeweils anderen Geschlechts entfaltet die Choreographie ihre dramatische Wirkung: Konterkariert durch den Gesang, wird der andere gerade durch seine Abwesenheit präsent. So geraten Medeas Mordpläne zu Liebeserklärungen, und der Untergang wird zum einzig möglichen Weg, diese Liebe zu leben. Vier Frauen geben sich in der roten Phase den Gewaltphantasien hin, die ihnen die Stimme aus dem Off zuflüstert: Morbide und gleichzeitig mit unschuldiger Leichtigkeit ziehen sie ihre Kreise auf der Bühne, lassen am Ende rotglitzernde Handschuhe zurück und gehen unblutig- unberührt davon.

Dominique Bagouet ist an Aids gestorben. Was die HIV-Infektion im Immunsystem des Körpers anrichtet, hat François Raffinot in den Medea-Mythos transzendiert. Die Hinnahme der zerstörerischen Kraft präsentiert ein zuletzt allein auf der Bühne übriggebliebener Mann in Gelb mit seinem Solo: als Versöhnung mit dem Tod. Ein Flop war bislang nur die Britin Yolande Snaith, die im Theater am Halleschen Ufer mit „Diction“ wenig überzeugen konnte.

Michael Clark noch heute um 20.30 Uhr im Hebbel Theater.

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