Schlaffe Behörde sucht starken Chef

■ Am Landgericht ist der Posten des Generalstaatsanwalts zu vergeben / Es gibt keinen eindeutigen Wunschkandidaten / Wüste Spekulationen auf den Gerichtsfluren: Kommt der Nachfolger aus Hamburg?

Im Kriminalgericht Moabit ist ein hochkarätiger Job zu vergeben: der Posten des Generalstaatsanwalts beim Landgericht. Der jetzige Amtsinhaber Hans-Joachim Heinze tritt am 31. Oktober aus Krankheitsgründen in den vorzeitigen Ruhestand.

Die Justizverwaltung hat die mit rund 10.500 Mark dotierte Beamtenstelle nun öffentlich ausgeschrieben, was bei diesem Posten ein Novum ist. In den Moabiter Gerichtsfluren führt dies zu wilden Spekulationen: wird ein Staatsanwalt oder Richter aus den Berliner Reihen Heinzes Nachfolger? Oder will die unlängst selbst aus Hamburg importierte Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD) einen Kandidaten aus der Hansestadt an die Spree lotsen?

Die Mehrheit der Bevölkerung würde von der Besoldung eines Generalstaatsanwalts nicht mal zu träumen wagen, aber Fachleute rümpfen darüber die Nase. 10.500 Mark seien viel zu wenig für diesen „mörderischen Job“, deshalb werde sich wohl kaum ein hochqualifizierter Jurist bewerben, heißt es. Die Berliner Staatsanwaltschaft ist mit 800 Bediensteten – davon 350 Staatsanwälte – die größte Behörde dieser Art in der Bundesrepublik. Bei der Besetzung der Chefstelle haben die Parteien ein maßgebliches Wörtchen mitzureden, denn die Generalstaatsanwälte des Kammer- und Landgerichts werden vom Abgeordnetenhaus gewählt. Nachdem der Generalstaatsanwalt beim Kammergericht, Dieter Neumann, Mitglied der CDU ist, ist davon auszugehen, daß sein neuer Kollege am Landgericht der SPD nahestehen wird.

Der aus dem Amt scheidende Generalstaatsanwalt Heinze hatte den Posten nur vier Jahre inne. Die Hintergründe seiner Wahl im Februar 1989 waren von einer gewissen Dramatik begleitet gewesen. Damals regierte die rot-grüne Koalition, die den früheren Generalstaatsanwalt Hans-Wolfgang Treppe nach 14 Dienstjahren in die Wüste geschickt hatte. Der Grund: Treppe hatte sich geweigert, die für ihren Verfolgungsübereifer berüchtigte Politische Abteilung der Staatsanwaltschaft aufzulösen. Die Auflösung dieser Abteilung war jedoch eine gewichtige Bedingung für das rot-grüne Regierungsbündnis gewesen. Doch nicht nur deshalb hatte Heinze, der zuvor 15 Jahre Vorsitzender Richter eines Schwurgerichts war, als Nachfolger von Treppe bei der Staatsanwaltschaft keinen leichten Stand. Manche seiner Untergebenen haben ihm bis heute nicht verziehen, daß er bei seinem Amtsantritt sogleich auf der Beförderung seines persönlichen Referenten zum Oberstaatsanwalt bestand.

Die Hoffnung der Alternativen, Heinze werde mit eisernem Besen in der verstaubten Behörde kehren, erfüllte sich nicht. Die geplante Auflösung der Politischen Abteilung verkam zu einem faulen Kompromiß. Aus der alten Politischen Abteilung wurden lediglich neue Spezialdezernate zur Bekämpfung der Gewaltkriminalität gemacht, die aber nach wie vor für alle Gruppendelikte – von der 1. Mai-Randale bis zu Skinhead- Übergriffen – zuständig sind. Die Vereinigung brachte für den Generalstaatsanwalt eine Unmenge von Arbeit und Problemen, die ihn gesundheitlich so angriffen, daß er nun vorzeitig ausscheiden muß.

Seit die Stelle ausgeschrieben ist, brodelt bei der Moabiter Staatsanwaltschaft die Gerüchteküche, wer wohl der Nachfolger wird. Einen Wunschkandidaten oder klaren Favoriten gibt es nicht: „Es drängt sich niemand mit ernsthaften Chancen auf“, erklärten Staatsanwälte, die es wissen müßten, der taz. Die Pragmatiker glauben, daß Heinzes Stellvertreter, der leitende Oberstaatsanwalt Dietrich Hölzner, in Ermangelung einer Alternative das Rennen machen wird.

Hölzner gilt als guter Verwaltungskenner, der seine Arbeit buchstabengetreu erledigt, aber vor unkonventionellen Entscheidungen zurückschreckt. Was Frauen angeht, wird auf den Gerichtsfluren nur der Name der Leiterin der Amtsanwaltschaft, Marita Kordaß, gehandelt. Kordaß war früher Leiterin des Vergewaltigungsdezernats.

Einige Staatsanwälte halten es aber auch für denkbar, daß die Senatorin ihnen „eine überraschende Hamburger Lösung serviert, die nicht in die Grabenkämpfe involviert ist“. Egal ob der neue Chef weiblich oder männlich sein wird – einen leitenden Beamten interessiert nur eins: „So schlaff wie jetzt kann es in dieser Behörde nicht weitergehen.“ Schon seit Jahren werde darüber geklagt, daß die Last der Arbeit auf wenigen Schultern ruhe. „Es fehlt ein klares Wort von oben.“ Plutonia Plarre