Der Panamakanal wird 80

Die Hauptattraktion des mittelamerikanischen Landes ist ein Relikt aus kolonial-imperialen Tagen. Silvester 1999 verlassen die US-amerikanischen Kanalbetreiber das Land  ■ Von Thomas Zimmermann

Am kommenden Montag sind es 80 Jahre, daß der Panamakanal den Seeweg zwischen Atlantik und Pazifik um 8.000 Seemeilen verkürzte. Damit ersparten sich die Reedereien bis zu 90 Prozent der Kosten, die bei einer Umschiffung von Feuerland anfallen würden. Ecuadorianische Bananen, amerikanischer Weizen, koreanische Automobile, japanische Werkzeugmaschinen, kanadische Baumstämme – 1993 wurden rund 150 Millionen Tonnen Güter durch die künstliche Wasserstraße transportiert, die Panama von Südwest nach Nordost auf einer Länge von 80 Kilometer durchschneidet. 500.000 BesucherInnen jährlich machen den Kanal zur wichtigsten Touristenattraktion des Landes.

Doch Panamas Hauptattraktion ist nicht nur ein technisches Wunderwerk, sondern ein Relikt aus kolonial-imperialen Tagen, als die aufstrebende Weltmacht USA alle Hebel in Bewegung setzte, eine durchgängig schiffbare Verbindung zwischen ihrer Ost- und Westküste zu schaffen. Diese war militärstrategisch so hervorragend plaziert, daß die U.S. Army Mittel- und Südamerika völlig unter operativer Kontrolle hatte.

Festgeschrieben im Kanalvertrag von 1977, werden die amerikanischen Kanalbetreiber und ihr militärisches Schutzpersonal Silvester 1999 das mittelamerikanische Land verlassen. Panama erhält von den USA eine Dienstleistungsbehörde, die weltweit zu den wenigen administrativen Zweigen einer Regierung zählen dürfte, die effizient wirtschaften und den reibungslosen Ablauf ihrer Geschäfte vertraglich garantieren.

Panama übernimmt ein Logistikunternehmen, das in seinem 80. Jahr 1.300 Schiffe durch den Kanal fädelte, 500 Millionen US-Dollar umsetzte, 150 Millionen davon in Wartung, Neukauf und Ausbildung investierte und dem panamaischen Finanzministerium 90 Millionen Dollar einbrachte. In den 15 Jahren seit Inkrafttreten des Vertrags, den der panamaische Volksheld und Ex-Präsident Omar Torrijos und der damalige US-Präsident Carter aushandelten, stieg die Zahl der einheimischen Angestellten von 69 Prozent auf 88 Prozent. Alle 7.500 Beschäftigten der US-Dienststelle „Panamakanalkommission“ erhalten amerikanische Beamtenlöhne – der Traum von einem Arbeitnehmer im krisengeschüttelten Panama.

„Wir haben das beste Berufsausbildungsprogramm in der Region“, versichert Willie Friar, Pressechefin der Kanalkommission. „Der Kanal ist über das Jahr 2000 hinaus gerüstet für den weltweiten Wettbewerb im Gütertransport.“ Doch die Freude über den bevorstehenden Abzug der Amerikanerin hält sich in Grenzen. Ein Drittel der Bevölkerung Panamas findet, Amerika und seine Truppen müßten auf jeden Fall bleiben. Die kommende Entflechtung wirft Panama erstmals auf sich selbst zurück, denn Staat und Wassergraben sind ohne die Vereinigten Staaten bis heute undenkbar.

Erst zu Beginn der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts erlangten die französischen Suezkanalerbauer um den Diplomaten und Ingenieur Lesseps eine Konzession, in der kolumbianischen Provinz Panama einen Kanal auf Meereshöhe ausheben zu dürfen. Lesseps' vom Suezkanal herüberhallender Ruhm als Generalauftragnehmer einer solchen Operation zerschmolz jedoch in der tropischen Glut. Nach neun Jahren, 22.000 Malaria- und Gelbfiebertoten und der Pleite der französischen Kanalbaugesellschaft warfen die Franzosen das Handtuch. Kolumbien verweigerte der reorganisierten Kanalgesellschaft die Zustimmung, der US-Regierung ihre Konzessionsanteile zu verkaufen.

Zu jenem Zeitpunkt vergrößerten Bürgerkriegswirren in Zentralkolumbien und die Rekrutierung panamaischer Wehrpflichtiger den Wunsch der Provinz nach Selbständigkeit. Auf Betreiben der US- Regierung erklärte eine revolutionäre Junta das Land für unabhängig. 15 Tage nach der Anerkennung Panamas durch die USA unterzeichneten der frischgekürte Botschafter in Washington, Bunau-Varilla, und der amerikanische Außenminister den ersten Kanalvertrag – gegen den Protest der offiziellen Verhandlungsdelegation Panamas, der die Knebelvereinbarung als inakzeptabel galt.

Die US-Regierung garantierte die staatliche Unabhängigkeit militärisch und erhielt hoheitliche Rechte über einen 16 Kilometer breiten Streifen des Landes und weitreichende Befugnisse, Panamas interne Angelegenheiten den eigenen Interessen entsprechend zu steuern. Bunau-Varilla erhielt 40 Millionen Dollar. Dann entschieden sich die neuen Bauherren für die Konstruktion eines Schleusenstufenkanals. Zehn Jahre und 387 Millionen investierte Dollar später durchquerte die USS „Ancon“ am 15.8.1914 als erstes Schiff den transisthmischen Wasserweg. Das Flut- und Abflußsystem funktioniert auf Schwerkraftbasis. Die pro Transit benötigten 200 Millionen Liter Wasser fließen ohne Zuhilfenahme von Pumpen über die Kammern direkt ins offene Meer. Nicht endende Regenfälle in der gebirgigen Tropenlandschaft beiderseits des Kanals, aufgefangen im Gatun-Reservoir versorgen die Schleusen mit der gewaltigen Wassermenge.

Zusammen mit den Lotsen kommt eine qualifizierte Seilschaft an Deck, die das Schiff am Schlepper oder vor der Einfahrt in die Schleuse mit längsseits fahrenden Lokomotiven vertäut. Die tonnenschweren Zugmaschinen stabilisieren vor allem Schiffe der Panama- Klasse (316 m x 34 m x 14 m), die 27 Prozent der Passagen bestreiten und, mit 75 cm Spielraum zwischen Kammerwand und Schiffsrumpf, ein Nadelöhr aus der Schleuse machen. Weil die Schiffe eigenangetrieben in das Becken hineinmanövrieren, unterstützen die Lokomotiven den Bremsvorgang und bringen die schwimmende Tonnage zum Stillstand. Erreicht ein Schiff die Gaillard-Enge, erinnert der dreizehn Kilometer lange Graben am ehesten an das Bild von dem der Natur abgerungenen, künstlichen Wasserweg. Bei einer reinen Fahrzeit von acht bis zehn Stunden verlängert der Gaillard- Cut die Aufenthaltsdauer in den Kanalgewässern auf 24 Stunden.

Das politische Interesse der USA an einer reibungs- und vor allem „politikfreien“ Abwicklung der Transitprozeduren führte 1977 zu einem Zusatz im Kanalvertrag: Beide Länder verpflichten sich, die strikte Neutralität des Handelsweges unter allen Umständen zu gewährleisten, wenn nötig, auch mit militärischen Mitteln – ein Passus, der 1989 die „Operation Just Cause“ und den Einmarsch in Panama City begründete, um den damaligen Militärmachthaber General Manuel Noriega zu fangen. Bill Ormsbee, Sprecher des „U.S. Southern Command“ und Zivilist, betont mehrere Male fast trotzig: „Die meisten hier haben unsere Aktion als Befreiung von dem damaligen Militärmachthaber General Noriega empfunden und sind uns dankbar.“

Immerhin erlebte Panama in den fünf Jahren seit der Operation „Just Cause“ politische Stabilität, wenngleich der mit großen Hoffnungen ins Amt eingesetzte Präsident Endara inzwischen sämtlichen Rückhalt in der Bevölkerung einbüßte und seine Partei bei den allgemeinen Wahlen am 8. Mai dieses Jahres verheerend verloren hat. Korruption, Drogengeldwäsche und fehlende Konzepte, die Wirtschaft anzukurbeln oder die Armut zu bekämpfen, ruinieren das Land wie zu Zeiten Noriegas.

Gegen den wachsenden Druck aus der Bevölkerung betont jedoch der neue Präsident Ernesto Perez „El Toro“ Ballardares, daß die Truppen das Land dennoch termingemäß verlassen müßten. Ob es dabei bleibt, steht dahin, denn wirtschaftlich trifft der Abzug der AmerikanerInnen Panama hart. Jedes Jahr geben 10.000 Militärangehörige 300 Millionen US-Dollar aus, 5.000 Zivilbeschäftigte beziehen weitaus höhere Löhne als im Landesdurchschnitt. Und schlüssige Konzepte, was aus den Anlagen wird, die das Militär hinterläßt, gibt es nicht. Eine militärische Verwendung ist ausgeschlossen, denn 1989 wurden die panamaischen Streitkräfte abgeschafft.

„Siebzehn Jahre nach der Vertragsunterzeichnung haben wir nichts Konkretes für die Zukunft vorzuweisen“, sagt Rogelo Alvarado, Wirtschaftsexperte einer Vereinigung panamaischer Industrieller. Als Zauberlösung malen die Beteiligten die touristische Verwendung der Liegenschaften an den Horizont, doch es fehlen konkrete Pläne. Außerdem existieren Ideen, die freiwerdenden Anlagen für leichtindustrielle Fertigung (Textilien) und Schiffbau und die Häuser als Wohnungen zu nutzen. Doch die ersten 400 übergebenen Gebäude verrotten bereits in der tropischen Schwüle.

Theoretisch sollte keine Schifffahrtslinie bemerken, wer im Jahr 2000 den Kanal betreibt und die Gebühren kassiert. Doch sowohl die Pressechefin der Kanalkommission, Willie Friar, als auch ihr Pendant Bill Ormsbee von den amerikanischen Streitkräften verweigern eine Antwort auf die Frage, ob sie Panama zutrauen, den Transitverkehr so problemlos und effizient wie bisher zu gewährleisten. Zweifel daran sind angebracht, aber sie überschatten nicht das 80. Betriebsjubiläum des Wassergrabens, der fast Synonym ist für das Land, das er teilt, der fast unersetzlich ist für das Land, das er versorgt.