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Qualitätsjournalismus

TV-Kritiker umarmen das Fernsehen (Teil 4): Das Politikmagazin „Monitor“ (ARD)  ■ Von Achim Baum

Ganz gegen die Realitäten des Programmangebots beschäftigt sich die TV-Kritik stets mit dem Neuen. Dabei lebt das Fernsehen von seiner Serialität. Die besten Formate sind selten die neuesten. Deshalb setzen sich die taz-Kritiker in dieser Serie ausschließlich mit liebgewordenen Altlasten auseinander.

Unter den Bedingungen einer folgenlosen Meinungsvielfalt – bei der gar nicht mehr nach einem Konsens gesucht wird – verödet die demokratische Kultur. Wenn alle Meinungen gleichgültig sind, werden sie bedeutungslos. Politik wird unpolitisch, blanke Vorurteile, so kritisierte schon Hannah Arendt, treten an die Stelle individueller Urteilskraft, sobald der öffentliche Meinungsstreit austrocknet. Wenn am Ende sogar die unpolitischen Vorurteile zur schicken „Politikverdrossenheit“ gerinnen, lachen sich die Vertreter eines starken Staates ins Fäustchen.

Dementsprechend bemißt die Qualität des politischen Journalismus sich daran, wie vehement er Behauptungen und Meinungen in Frage stellt und zum öffentlichen Streit herausfordert. „Monitor“, das Politikmagazin des WDR, ist ein Beispiel dafür. Anders als all die nur dem Namen nach explosiven Magazine, die aus Eulenspiegeleien und Schildbürgerstreichen journalistische Funken zu schlagen versuchen, wird bei „Monitor“ nicht gehausert und gekienzelt, sondern investigativ recherchiert, klar dokumentiert und zugespitzt kommentiert.

Bereits Franz Josef Strauß kanzelte „Monitor“ deshalb als „rote Reichsfernsehkammer“ ab, Springers Welt geißelte die WDR-JournalistInnen als „hysterische Spurensucher“ mit „manischer Aufklärungslust“ – lauter Charakterisierungen, die den Kurs der mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Redaktion nur bestätigen.

Die fast drei Jahrzehnte alte Sendung, nach Claus Hinrich Casdorff und Gerd Ruge nun seit mehr als zehn Jahren von Klaus Bednarz verantwortet, widmet sich nahezu ausschließlich innenpolitischen Themen. Ohne „Monitor“ hätte es die Lockheed-Affäre der CSU in der Öffentlichkeit nicht gegeben und keinen Dioxin-Skandal. Dutzende von parlamentarischen Anfragen belegen, daß die jeweilige Opposition durch die politisch brisante Berichterstattung oft erst auf Trab gebracht wurde.

In jüngster Zeit stellten die Recherchen über den GSG-9-Einsatz in Bad Kleinen und die deutschen Waffenlieferungen in die Türkei alles in den Schatten, was selbst finanziell weit besser ausgestattete Presseorgane wie der Spiegel zu bieten hatten. Und immer wieder überrascht „Monitor“ mit unglaublichen Geschichten wie der Nazipropaganda im Bonner Wachbataillon, legt Geschwüre offen, die unter der Oberfläche eines scheinbar funktionierenden politischen Systems wuchern.

Ohne mitdenkende ZuschauerInnen freilich wäre dieser Journalismus kaum vorstellbar: So zahlt es sich in mehrfacher Hinsicht aus, daß die mehr als 4,3 Millionen regelmäßigen „Monitor“-Zuschauer nicht nur durch die Themenauswahl, durch Präsentation und Moderation als politisch zurechnungsfähig angesprochen werden. In der jeweils nachfolgenden West 3- Sendung „Nachgefragt – Monitor im Kreuzverhör“ kann das Publikum auch zu den aktuellen Beiträgen Stellung nehmen. Und nicht zuletzt verdankt die Redaktion ihren ZuschauerInnen so manchen Hinweis auf skandalöse Vorgänge, die dann im Programm von „Monitor“ umgesetzt werden – ein Wechselspiel zwischen JournalistInnen und mündigem Publikum, das sich wohltuend von der Dienstleistungsmentalität abhebt, mit der Fernsehsender heute in aller Regel nach Quoten fischen.

Ohne formale Knalleffekte und holprig inszenierte Dramatisierungen, auf die auch die öffentlich- rechtlichen Anstalten in ihrer politischen Berichterstattung inzwischen nicht mehr glauben verzichten zu können, mag „Monitor“ manchen beinahe altmodisch erscheinen. Dagegen vertritt Klaus Bednarz selbstbewußt die These, daß die „Zeit des kritiklosen Einfangens“ von „vermeintlich attraktiven Bildern“ schon wieder vorbei ist (taz vom 30.7.93).

Viele, die in tagelangen Seminaren das Qualitätsfernsehen neu erfinden wollen, würden gut daran tun, sich statt dessen mit dem Qualitätsjournalismus zu befassen, wie er in „Monitor“ immer wieder gezeigt wird. Kann sein, daß sie dabei etwas über den Zusammenhang von Journalismus und Demokratie lernen.

Die Serie wird fortgesetzt.

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