: Bombenkrimi auf dem Flughafen
■ Plutonium-Dealer in München verhaftet / In der Lufthansa-Maschine saß russischer Minister-Stellvertreter
München (dpa/AP) – David Kyl, Sprecher der Internationalen Atomenergiebehörde, warnte noch am Freitag davor, daß Deutschland „zur Drehscheibe des internationalen Atomschmuggels“ werde. Der Mann scheint gewußt zu haben, wovon er sprach. Am anderen Tag gab das Landeskriminalamt des Freistaates Bayern seinen bislang spektakulärsten Fang bekannt – den dritten in wenigen Wochen. Die Fahnder hatten am Mittwoch auf dem Flughafen München etwa 300 Gramm Plutonium239 beschlagnahmt. Das ist die größte jemals in Deutschland gefundene Menge atomwaffentauglichen Materials.
Mehrere Schmuggler wurden von der Polizei festgenommen, die sie schon auf dem Rollfeld erwartet hatte. Es soll es sich um zwei Spanier, einen Kolumbianer und einen Franzosen handeln, die das Plutonium in ihrem Reisegepäck an Bord einer Lufthansa-Maschine aus Moskau mitbrachten.
Die Bild-Zeitung will von den Festgenommenen schon ein Geständnis gehört haben. Auch Helmut Kohl verging der Spaß. „Das ist eine fürchterliche Sache“, sagte der Kanzler im ZDF und kündigte an, zur Klärung der Hintergründe einen Beauftragten zu Boris Jelzin zu schicken. Er habe einen Briefwechsel über das Problem mit dem russischen Präsidenten begonnen, außerdem hat sich Kanzleramtsminister Schmiedbauer („008“) auf den Weg gemacht.
Der Reinheitsgrad des Plutoniums wird zur Zeit noch im Europäischen Institut für Transurane in Karlsruhe untersucht. Das Material befand sich in einem Stahlbehälter mit Bleiummantelung. Passagiere, Flug- und Bodenpersonal seien nicht gefährdet gewesen.
Bayerns Innenminister Günther Beckstein geht davon aus, daß die Festgenommenen nur Kuriere waren. Die Hintermänner vermutet der CSU-Politiker in „unterbezahlten Wissenschaftlern in hochgerüsteten Atomlabors“, Experten des Bundesnachrichtendienstes verdächtigen dem Spiegel zufolge Angehörige der Botschaften Libyens, Irans oder Iraks.
Pikant nur, daß in derselben Lufthansa-Maschine auch der stellvertretende Atomenergieminister Rußlands, Viktor Sidorenko, nach München flog. Er wollte sich mit der bayerischen Staatsregierung über „zivile Atomprojekte“ unterhalten. Bedarf nach hochangereichertem Uranium, der Sorte, von der letzte Woche in Landshut und Fürholz eine Dealer-Probe aus Rußland gefunden wurde, besteht in München tatsächlich. Der neue Forschungsreaktor in Garching soll mit dem bombenfähigen Stoff betrieben werden, obwohl ein weltweites Agreement der Wissenschaftler eben das verbietet. Amerikanische Behörden haben bereits angekündigt, daß sie den Deutschen kein hochangereichertes Uran liefern wollten.
Bundesaußenminister Kinkel verlangt nun plötzlich ein neues Plutonium-Kontrollsystem. Umweltminister Töpfer dagegen möchte lediglich den Nuklearexperten aus den Nachfolgerepubliken der Sowjetunion seriösere Jobs verschaffen. Sie sollten gehindert werden, „ihr Wissen aus fast schon existentiellen Gründen anders anzubieten“. Die CDU/CSU- Bundestagsfraktion will flankierend das deutsche Atomgesetz ändern sowie Bundesnachrichtendienst und Bundeskriminalamt mehr Befugnisse geben. Der innenpolitische Sprecher der Fraktion, Erwin Marschewski, meint, die atomrechtlichen Fachbehörden könnten bei der Schmugglerbekämpfung helfen.
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