: "Das ist eine Schande"
■ Politiker übten am Wochenende erneut scharfe Kritik an der Urteilsbegründung Mannheimer Richter im Fall Deckert / Süssmuth: Urteil ist keine Randerscheinung / Beteiligter Richter Orlet verteidigt sich
Mannheim/Bonn (dpa/AFP) – Eine Woche nach Bekanntwerden der auf Empörung gestoßenen Mannheimer Urteilbegründung im Fall des NPD-Chefs Günter Deckert tritt heute das Präsidium des Mannheimer Landgerichts zusammen. Nicht auszuschließen sei, daß über das Urteil gegen NPD- Chef Günter Deckert gesprochen werde, erklärte Gerichtspräsident Gunter Weber. Bisher lehnte er Konsequenzen für die umstrittenen Richter Wolfgang Müller und Rainer Orlet ab.
Deckert war Mitte Juni unter anderem wegen Volksverhetzung zu einer einjährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden. In der jetzt vorliegenden schriftlichen Begründung der Entscheidung bescheinigten die beiden Richter dem Rechtsextremisten Charakterstärke und Verantwortungsbewußtsein. Die Staatsanwaltschaft legte beim Bundesgerichtshof bereits Revision gegen das Urteil ein.
Am Wochenende erneuerten führende deutsche Politiker ihre Kritik an den Richtern. Nach Ansicht von Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) stellt das umstrittene Urteil keine Randerscheinung dar und darf nicht hingenommen werden. Eine mögliche Lösung sei die beantragte Revision. „Inhalt und Begründung des Urteils empören mich.“ Als positiv wertete sie den öffentlichen Protest. Nun müsse erreicht werden, „daß ein Urteil dieser Art nicht wieder ergeht“, sagte sie.
Bundeskanzler Helmut Kohl sagte dem ZDF: „Das ist ein völlig unverständliches Urteil. Das ist eine Schande.“ Das Urteil sei „in gar keiner Weise zu vertreten“, und die Richterschaft selbst müsse „die notwendigen Konsequenzen“ ziehen. Der CSU-Vorsitzende Theo Waigel nannte das Urteil von Mannheim verhängnisvoll. „Einzelne Feststellungen und Wertung in diesem Urteil sind unverständlich, falsch und nach Wortlaut und Geist inakzeptabel“, sagte er gestern auf einer Veranstaltung im bayerischen Vöhringen. „Wer in verblendeter Ideologie verharrt und sich zum Werkzeug des Hasses macht und mißbrauchen läßt, der verdient weder Respekt noch Mitleid.“
Dagegen verteidigte sich der an der Urteilsbegründung beteiligte Richter Orlet erstmals öffentlich: „Ich verstehe die ganze Aufregung nicht. Wenn man sachgerecht an das Urteil herangeht, muß man feststellen, daß es so in Ordnung ist.“ Dem Nachrichtenmagazin Focus sagte er, seine politische Einstellung habe bei der Urteilsbegründung keine Rolle gespielt.
Vor dem Landgericht Mannheim versammelten sich am Samstag rund dreißig Menschen zu einer Mahnwache, um gegen die Urteilsbegründung zu protestieren. Sie forderten die Ablösung der Richter. Die Mahnwache, zu der kirchliche Gruppen und verschiedene Parteien aufgerufen hatten, soll noch die ganze Woche lang vor dem Gerichtsgebäude stattfinden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen