: Aufschrei der Bildungspolitiker
■ Kuhbiers Schulgeld-Vorschlag löst Empörung aus / SPD-Abgeordnete Woisin: „Ich bin wütend“ / Landesparteitag gefordert Von Kaija Kutter
Das Thema schien längst durch zu sein. Nach seiner Wahl zum SPD-Landesvorsitzenden Ende April hatte Jörg Kuhbier schon einmal laut über Schulgeld für Besserverdienende nachgedacht. Bevor im Bildungsbereich Standards abgesenkt würden, sei dies die vertretbarere Alternative.
Damals schob allerdings Schulsenatorin Rosie Raab der Debatte einen Riegel vor. Eine solche „zusätzliche Belastung für Familien“ halte sie für ausgeschlossen, hatte die SPD-Politikerin versichert. Und als Ende Juni der Stellenplan der Schulbehörde bis Ende 1997 vorgestellt wurde, schien es, als sei die Spardebatte im Bildungsbereich abgeschlossen. Raab: „Das ist dann erstmal alles bis 1997.“ Zwar verfügte sie allerlei unpopuläre Maßnahmen - Lehrermehrarbeit, Referendarseinsatz, Gastschülerstopp - doch der Spagat, 10.000 neue Schüler ohne neue Lehrerstellen zu versorgen, schien vollbracht.
Gestern nun wiederholte der Landeschef seinen Vorschlag in einem Interview mit der taz und löste damit einen Wirbelsturm der Empörung aus. Nein, er habe sich noch keine konkreten Gedanken über Einkommensgrenzen gemacht, sagte der offenkundig schlecht vorbereitete Kuhbier mittags im NDR. Es sei ihm nur darum gegangen, Denkanstöße zu geben.
„Ich bin über dieses laute Nachdenken sehr wütend“, sagte gestern die SPD-Abgeordnete und Elternvertreterin Erika Woisin. Schulgeld sei in der parteieigenen Bildungs-AG „nie Thema gewesen“. Und über Standardabsenkungen - wie größere Klassen - würde längst nicht mehr geredet.
Günther Frank, der bildungspolitische Sprecher der SPD, sprach gar aus dem fernen Schweden ein Machtwort: „Mit dem Thema Schulgeld wird sich die SPD-Bürgerschaftsfraktion nicht befassen“. Der Kuhbier-Vorschlag sei naiv und in seiner Wirkung ein „Transrapid in die Vergangenheit“. Es sei offenbar unumgänglich, daß der Landesparteitag „hier endlich einen Schlußstrich zieht“.
Auch von der CDU-Bildungspolitikerin Ingeborg Knipper und von der Statt-Partei bekam der frühere Umweltsenator gestern ordentlich Dresche, allerdings packten beide die Gelegenheit beim Schopf und inszenierten eine neuerliche Diskussion um die Lehrmittelfreiheit. Man könne nicht eine Schulpflicht für alle verordnen und dann dafür kassieren, sagte Ingeborg Knipper, die zugleich fordert, daß diejenigen, die es sich leisten können, ihre Schulbücher selber zahlen. Die SPD solle in diesem Punkt jetzt Farbe bekennen, nörgelte auch Statt-Partei-Gründer Markus Wegner, der bereits im Frühjahr vorgeschlagen hatte, die Lehrmittelfreiheit für Besserverdienende aufzuheben.
Doch fragt sich, ob die Zahl der „besserverdienenden“ Eltern die Selektion der Schülerschaft lohnt, oder ob hier nicht einem Phantom hinterhergejagt wird. Für Sozialdemokrat Frank ist aus diesem Grund auch die Lehrmittelfreiheit tabu. Frank: „Die Familien mit mittleren Einkommen, die immer von solchen Einschränkungen betroffen sein werden, sind an der Grenze ihrer Belastbarkeit“.
„Damit sich Schulgeld für den Staat lohnt, müßte die Einkommensgrenze relativ niedrig sein“, gibt auch Uwe Hinrichs vom Kinderschutzbund zu bedenken. Ein Kind zu haben, koste so schon 800 bis 900 Mark im Monat. Diese Last bürdet sich in Hamburg eine Minderheit auf. Von den 1,8 Millionen Hamburgern sind nur 280.000 Menschen Eltern schulpflichtiger Kinder. Die Zahl der Reichen unter ihnen ist statistisch nicht erfaßt.
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