: Clinton bleibt auf Gatt sitzen
Das neue Freihandelsabkommen droht im US-amerikanischen Kongreß zu scheitern / Abgeordnete befürchten Steuerausfälle ■ Aus Washington Andrea Böhm
Am Ende muß sich Gretchen Cook vielleicht fragen, ob sie nicht die falsche Sportart gewählt hat. Ausgerechnet Baseballbilder verteilt die Sprecherin der Firma „Edelman Public Relations“ an die Mitglieder des US-Kongresses. Doch auf den Fotokärtchen, mit denen amerikanische Jugendliche damals wie heute einen schwunghaften Tauschhandel mit eingefleischten Fans betreiben, sind nicht die Spielerstars abgebildet, sondern US-Präsident Bill Clinton, seine Vorgänger George Bush und Ronald Reagan sowie der US- Handelsbeauftragte Mickey Kantor. Die genannten Herren, schwärmt Gretchen Cook, deren Firma zu einer neuen Lobbygruppe mit dem Titel „Alliance For Gatt Now“ (AGN) gehört, hätten mit ihrem vorbildlichen Einsatz für das Gatt-Abkommen, das im April in Marrakesch unterzeichnet worden war, einen home run für Amerika erzielt. Ein home run ist mit einem schönen Solotor beim Fußball zu vergleichen.
Baseball ist eine unerschöpfliche Quelle für Mythen und Metaphern in den USA, doch just zu diesem Zeitpunkt steckt der Sport in der Krise: Die Zuschauer bleiben aus, der Nachwuchs spielt lieber Basketball – und wenn kein Wunder geschehen ist, dann befinden sich die Spieler mittlerweile in einem Streik. Es geht, wie meistens, ums Geld.
Damit hat Baseball mit dem Gatt-Abkommen weitaus mehr gemein, als Gretchen Cook lieb sein kann: Die Zahl der Unterstützer für das Freihandelsabkommen im Kongreß ist geschrumpft, die der Gegner ist gewachsen; es geht vor allem ums Geld, aber auch um Fragen der Transparenz und der Gültigkeit nationaler Gesetze– zum Beispiel im Umweltschutz.
Das größte Problem, mit dem die Clinton-Administration bei der Ratifizierung des Gatt-Abkommens zu kämpfen hat, ist Zeit. Innenpolitisch sind Parlament und Weißes Haus derzeit völlig vom Kampf um die Gesundheitsreform, der Verabschiedung des Gesetzes zur Verbrechensbekämpfung und der Reform des Sozialhilfewesens absorbiert. Für eine vierte Streitbühne fehlen der Administration die Kapazitäten, weshalb eine Ratifizierung des Freihandelsabkommens noch in diesem Jahr höchst unwahrscheinlich erscheint.
Das zweite Problem ist das Geld. Nach Angaben der Zeitschrift The Economist werden die im Gatt-Abkommen vorgesehenen Zollsenkungen in den nächsten fünf Jahren Einnahmeverluste von 12 Milliarden Dollar für die Staatskasse bedeuten. Die müssen laut Haushaltsgesetz sofort ausgeglichen werden – entweder durch Steuererhöhungen oder Budgetkürzungen. Das eine wie das andere zieht massiven innenpolitischen Widerstand nach sich. Die dritte Alternative wäre ein congressional waiver, eine Außerkraftsetzung haushaltsrechtlicher Beschränkungen durch das Parlament. Dies würde jedoch Bill Clinton unmittelbar in den Ruch fiskalischer Zügellosigkeit bringen – mit entsprechenden Folgen auf dem Aktien- und Anleihenmarkt in der Wall Street.
Am meisten ärgert die parlamentarische Opposition der Republikaner jedoch, daß sich Clinton im Rahmen der Ratifizierung des Gatt-Abkommens mit der Kompetenz ausstatten lassen will, bis zum Jahr 2001 Handelsabkommen mit ausländischen Nationen abzuschließen – und darin auch Arbeitnehmerrechte und Umweltschutzstandards zu integrieren. Einem solchen Vorhaben, so erklärten bereits im Juni alle 44 republikanischen Senatoren, würden sie nicht zustimmen – und damit auch nicht dem Gatt-Abkommen.
Im Gegensatz zu der höchst kontrovers geführten öffentlichen Debatte um das „Nordamerikanische Freihandelsabkommen“ (Nafta) hat sich der texanische Milliardär und Ex-Präsidentschaftskandidat Ross Perot in die Gatt- Debatte (noch) nicht eingeschaltet. Doch die Gegenbewegung, darunter vor allem Gewerkschaften und Umweltschutzgruppen, sammelt sich unterdessen um den populären Verbraucheranwalt Ralph Nader und seine Organisation „Public Citizen“. Sie warnen vor allem vor dem Verlust nationaler Souveränität sowie vor der fehlenden Transparenz von Entscheidungsgremien des Gatt, respektive der neuen „Welthandelsorganisation“ WTO. Ihre Befürchtungen fanden Gatt-Gegner zuletzt im Mai dieses Jahres bestätigt, als der zuständige Gatt-Ausschuß erneut einen US-Boykott von ausländischem Thunfisch für illegal erklärte. Der Boykott richtet sich – auf Grundlage des „Marine Mammal Protection Act“ zum Schutz von Meeressäugetieren – vor allem gegen mexikanische Fischer, die mit ihrer Fangtechnik jährlich Tausende von Delphinen töten. Nach Auffassung von Ökologie- und Verbrauchergruppen ist dies ein Präzedenzfall für die Unterminierung nationaler Umwelt- und Verbraucherschutzstandards durch Freihandelsabkommen. So seien zum Beispiel die Lebensmittelstandards der USA strenger als die der WTO, argumentiert Public Citizen, doch gegen diese „können andere Länder nun vor dem WTO- Ausschuß Klage wegen illegaler Handelsbarrieren einlegen“.
Die Europäische Union hat bereits eine Liste von US-amerikanischen Gesetzen aufgestellt, die nach ihrer Auffassung gegen das Freihandelsabkommen verstoßen. Aufgezählt werden unter anderem der „Marine Mammal Protection Act“ sowie Gesetze zur Regulierung des Schadstoffausstoßes bei Autos.
Lori Wallach, Sprecherin von Public Citizen, glaubt, daß diese Fakten reichen, um im US-Kongreß genügend Widerstand zu mobilisieren – auch wenn die AGN noch so viele Baseballbildchen verteilt. „Das Gatt-Abkommen“, sagt sie, „ist ein toter Fisch.“
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