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■ Sondereinsatzkommando verteidigt Sitzplätze im ZugabteilDer Deutsche als Sicherheitsproblem

Lange Bahnfahrten wollen Fahrgäste sitzend zubringen. Solange Plätze frei sind, ist das weder ein Problem noch ein staatsfeindlicher Akt. Doch bei der Deutschen Bahn denkt man anders. Wenn sich Fahrgäste auf einem reservierten, aber unbesetzten Platz niederlassen, droht die Bahn mit Bußgeldern, dem Bundesgrenzschutz und dem Sondereinsatzkommando. Der Platz soll frei bleiben.

Fast täglich mietet sich die US- Army einen ganzen Waggon auf der Bahnstrecke von Frankfurt nach Berlin. Es ist immer der dritte Waggon von hinten, in dem regelmäßig eine Handvoll US-Amerikaner sitzen. Die Bahn hat recht, wenn sie ihre Fahrgäste aus den Bänken treibt, die US-Army hat schließlich jeden Platz einzeln gekauft. Mal ehrlich, wäre man nicht schön dumm, wenn man sich nicht auf einem der vielen freien Polster niederläßt?

Der Reiseleiter, der den Waggon gemietet hat, stellt sich gut sichtbar vor die Reisenden: „Wenn Sie sich weigern, den Waggon zu räumen, werden Sie am nächsten Bahnhof vom Bundesgrenzschutz erwartet.“ Das ist einfach zu grotesk, als daß man dem Glauben schenken mag. „Vom Bundesgrenzschutz – lächerlich“, wiegelt einer ab. Ein anderer: „Das ist ja so, als wenn ein einziger in einem Wagen voller Köstlichkeiten sitzt, während wir – am Hungertuch nagend – von draußen zuschauen müssen.“ Natürlich rührt sich niemand. Doch wäre es nicht das erste Mal, daß die Deutsche Bahn mit militärischer Gewalt gegen ihre Kunden vorgeht. Einmal wurde sogar ein Sondereinsatzkommando zur Ruck-zuck-Evakuierung bestellt: „Die haben den Waggon umstellt. Eine Minute, und die Störenfriede waren auf dem Bahnsteig.“ „Und warum?“, fragt eine junge Frau. „Den habe ich gemietet. Der gehört mir“, verteidigt sich der Reiseleiter. „Wenn Deutsche hier sitzen, haben wir ein Sicherheitsproblem.“ Daß der Waggon mitten im Zug steckt, gewissermaßen auf dem Weg von der zweiten Klasse in den Speisewagen (und umgekehrt), beunruhigt dagegen offensichtlich niemandes Sicherheitsverlangen. „Die Deutschen benehmen sich den Amerikanern gegenüber nicht gerade respektvoll“, erklärt der Reiseleiter weiter. Der Schaffner ergänzt den Satz: „...und nicht gerade dankbar.“ Er komme aus dem Osten und könne ganz genau erzählen, was es heißt, den Russen als Besatzer zu haben. Da können die Westdeutschen ruhig etwas dankbarer sein. Man sei ja dankbar, wird erklärt. Aber deshalb muß man doch noch lange nicht die nächsten viereinhalb Stunden auf dem Waggonflur stehend zubringen. Der Reiseleiter droht jetzt sogar damit, jeden anzuzeigen, der mit seiner Gegenwart die Fluchtwege versperrt. Oder sich derart ungeschickt plaziert, daß man über ihn stolpert und sich das Bein bricht. Leicht genervt fragt ein Geschäftsmann, ob man nicht Ruhe geben könne. Er wolle seine Zeitung noch zu Ende lesen und dann ein Nickerchen machen. „Sie lassen in Ihrer Wohnung ja auch nicht jeden wohnen, nur weil grad' mal zwei Zimmer frei sind“, argumentiert der Reiseleiter, als würde er hier wohnen.

„Jede Minute, die der Zug steht, kostet Sie 'ne Menge Geld“, droht der Reiseleiter. Der Schaffner ergänzt die Drohung: „Jede Fahrkarte, die für diese Strecke am Schalter zur Erstattung eingereicht wird, stellen wir Ihnen in Rechnung.“ Denn man habe ihn – durch jene beharrliche Weigerung, sich auf den Gang zu stellen – von seiner Arbeit abgehalten. Er habe dadurch nicht alle Fahrkarten entwerten können. Die werden zur Erstattung eingereicht. Bahnfahren im Sitzen? Gefängnis? Finanzieller Ruin? Die Fahrgäste ziehen es vor, den Waggon zu verlassen. Manuel Özcerkes

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