■ Plutoniumschmuggel und drohender Atombomben-Boom sind nur durch massive globale Prävention zu verhindern: Die Nachfrage muß auf Null Es drohen bis zu 45.000 Bomben!
„Auf der Basis jüngst vorgenommener Überprüfungen ist offiziell auszuschließen, daß aus russischen Atomanlagen Plutonium gestohlen wurde oder verschwunden ist.“ Die Erklärung, mit der das Moskauer Atomministerium auf die Darstellung des bayrischen Innenministers Beckstein reagierte, das jüngst in München beschlagnahmte bombenfähige Plutonium 239 stamme „mit Sicherheit“ aus Rußland, ist wenig überzeugend.
Zwar hat Beckstein bislang zumindest öffentlich keine Beweise für seine Angaben vorgelegt. Theoretisch könnte das beschlagnahmte Plutonium natürlich auch aus den verbliebenen Atomwaffendepots der Ukraine, Weißrußlands oder Kasachstans oder aus westlichen Anlagen stammen. Doch ist die Wahrscheinlichkeit, daß Becksteins Angaben zutreffen, sehr groß.
In den russischen Plutoniumfabriken lagern nach Angaben russischer Experten von Greenpeace und anderen regierungsunabhängigen Organisationen derzeit rund 180 Tonnen des gefährlichen Stoffes.
Bei einem Bedarf von – je nach Reinheitsgrad – vier bis sechzehn Kilo Plutonium pro Bombe also genug Material für mindestens 11.250, maximal 45.000 Atombomben.
Der Schutz des Materials ist diesen Experten zufolge sehr mangelhaft. Es fehlt Personal, die vorhandenen Sicherheitskräfte sind unterbezahlt, schlecht ausgebildet und bei einigen Objekten unbewaffnet.
Doch alle Vorwürfe oder Appelle an die Adresse Moskaus, das Problem in den Griff zu kriegen, werden allein ebenso wenig ändern wie der Vorschlag von Bundesaußenminister Kinkel zur Einrichtung eines internationalen Plutonium-Kontrollsystems. Auch Staatsminister Schmidbauer, den Kanzer Kohl zwecks „Klärung der Hintergründe des Plutoniumschmuggels“ nach Moskau schickt, wird wenig ausrichten. Das alles sind kaum mehr als hilflose Versuche zur Beruhigung der heimischen Öffentlichkeit.
Auch sollten die jüngsten Festnahmen von Plutonium-Dealern und die Sicherstellung ihrer heißen Ware nicht zu der Illusion verleiten, der Plutoniumhandel ließe sich mit einem Ausbau des Fahndungs- und Überwachungsapparates unterbinden.
Wirksam läßt sich die Proliferation von Plutonium oder von Know-how zur Herstellung von Atomwaffen nur verhindern durch eine Kombination wirtschaftlicher und politischer Maßnahmen, die Angebot und Nachfrage auf Null bringen. Vorrangig ist die ausreichende materielle Versorgung der Beschäftigten in allen Atomanlagen der Ex-Sowjetunion, beziehungsweise die Bereitstellung alternativer Arbeitsplätze für die nach Ende des Kalten Krieges arbeitslos gewordenen Wissenschaftler und Bombenbauer.
Hierfür sind kurz- und mittelfristig Milliardenbeträge erforderlich, die nach Lage der Dinge nur die westlichen Staaten und Japan aufbringen können. Je länger die Regierungen dieser Länder zögern, diese Mittel sofort bereitzustellen, desto höher werden die langfristigen Kosten – materiell und politisch. Denn ist erst einmal waffenfähiges Plutonium in ausreichenden Mengen in diejenigen Staaten gelangt, die ernsthafte Atombombenambitionen haben, werden sich all jene Maßnahmen als alternativlos erweisen, die im Fall Irak bereits erfolgt sind und mit Blick auf Nordkorea schon diskutiert wurden: politische Isolierung, Wirtschaftssanktionen und militärische Aktionen zur Zerstörung tatsächlicher oder vermuteter Atomwaffenanlagen.
Um die Nachfrage nach Atombombenmaterial und Know-how auszutrocknen, muß unbedingt der Atomwaffensperrvertrag auf der Überprüfungskonferenz im April nächsten Jahres verlängert werden. Und alle Hebel müssen in Bewegung gesetzt werden, um eine Entschärfung der politischen Konflikte in den drei Weltregionen, in denen ernsthafte Atomwaffenambitionen existieren, zu erreichen. Israel muß dazu bewegt werden, sein Atomwaffenprogramm der vollständigen Kontrolle der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien zu unterwerfen und möglicherweise bereits existierende Atomwaffen zu verschrotten. Sonst werden die arabischen Staaten weder der Verlängerung des Sperrvertrages zustimmen noch das Abkommen zur Chemiewaffenvernichtung ratifizieren.
Zum zweiten muß der Streit um das Atomprogramm Nordkoreas mit einer Vereinbarung beigelegt werden. Die Zeichen stehen dazu gar nicht schlecht, betrachtet man die Absichtserklärungen, die die Unterhändler aus Washington und Pjöngjang am letzten Wochenende in Genf verkündeten. Und schließlich bedarf es einer Initiative der internationalen Staatengemeinschaft zur Deeskalation des Konflikts zwischen Indien und Pakistan, die beiden Staaten eine Aufgabe ihrer Atomwaffenprogramme ermöglicht.
Die Chancen für solch positive Entwicklungen wüchsen erheblich, wenn die bisherhigen fünf offiziellen Atommächte ihre Verpflichtungen aus Artikel 6 des Sperrvertrages endlich ernst nähmen und bis zur Überprüfungskonferenz im nächsten April einen verbindlichen Fahrplan für den vollständigen Abbau ihrer Arsenale vorlegten. Andreas Zumach, Genf
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