: Aufschwung im Plutoniumhandel
■ Neuer Fall von Plutoniumschmuggel in Bremen / Kapsel mit 0,05 Milligramm gefunden
Bremen/Berlin (taz) – Die Staatsanwaltschaft Bremen hat gestern den vierten Fall von versuchtem Atomschmuggel in vier Monaten bekanntgegeben. Bereits am Freitag vergangener Woche wurde ein 34 Jahre alter Deutscher aus Vechta wegen Plutoniumhandels festgenommen. Der Mann hatte eine Kapsel bei sich, die nach Untersuchungen des Bremer Kernphysikers Gerald Kirchner 0,05 Milligramm Plutonium 239 enthält. Das Plutonium ist an der Außenseite der Kapsel in eine „keramikartige Substanz“ gebunden.
Erst am vergangenen Mittwoch hatten bayerische Fahnder auf dem Münchner Flughafen 300 Gramm hochreines Plutonium beschlagnahmt. Im Mai waren bei einem Geschäftsmann am Bodensee sechs Gramm Plutonium entdeckt worden; Anfang August stellte die Polizei ein Gramm hochangereichertes Uran 235 sicher. Wegen der Häufung der Fälle zeigten sich gestern israelische Behörden besorgt und fragten bei der Bundesregierung an, wie sie den Handel mit Nuklearmaterial aus der früheren UdSSR unterbinden wolle. Diplomatische Verstimmungen zeigten sich aber auch mit der russischen Regierung. Ein Jelzin-Berater warf der Bundesregierung vor, daß sie die Passagiere der Lufthansa-Maschine Moskau–München durch den Transport von 300 Gramm Plutonium unnötig gefährdet habe. Die SPD beantragte eine Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses.
In dem weit weniger gefährlichen Bremer Fall sollte es am Freitag um 17.40 Uhr am Hauptbahnhof zum Verkauf der Kapsel kommen. Nach Aussagen von Oberstaatsanwalt Hans-Georg von Bock und Pollach hatte sich zwanzig Minuten vor der Übergabe der Käufer bei der Polizei gemeldet. Bei diesem „V-Mann“, so der Oberstaatsanwalt, handele es sich um einen „freien Journalisten aus Hamburg“. Nach eigenen Angaben sei er nicht während Recherchen auf die Plutoniumtransaktion gestoßen, sondern „außerberuflich“. Warum er das Plutonium kaufen wollte und in letzter Minute der Kripo den Tip gab, blieb unklar. Der Mann habe nicht im Auftrag der Bremer Polizei gearbeitet, die aber in einem anderen Fall selbst einen V-Mann auf den Nuklearschmuggel angesetzt hatte.
Die Kripo ermittelt außerdem noch gegen einen in Bremen lebenden Polen. Dieser soll den Kontakt zwischen „russischem Ursprung“ und dem Verhafteten hergestellt haben. Nach Erkenntnissen von Uwe Lückow, Dezernent für Kriegswaffenkontrollangelegenheiten, befinden sich keinesfalls 68 Gramm „herumvagabundierendes Plutonium“ in Norddeutschland. Der „freie Journalist“ hatte diese Behauptung in der ARD-Sendung Kontraste am Montag abend aufgestellt. Verbindungen zu den Funden in Tengen, Landshut und München sieht die Staatsanwaltschaft nicht. Über die Verwendung der Kapseln schwiegen sich die Herren aus. Der Kernphysiker Kirchner sagte, daß rein physikalisch das gefundene Plutonium waffenfähig sei, für den Bau einer Bombe benötige man aber eine Waggonladung derartiger Kapseln. Auch sei die Trennung des Plutoniums von der keramikartigen Substanz nur bei 3.000 Grad Celsius durchzuführen. Ulrike Fokken/Donata Riedel Seiten 3 und 10
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen