: Pirogi am Schlesischen Tor
■ Berlins Polen – eine Minderheit? Zum Auftakt der Polnischen Kulturtage
Für Wojciech Drozdek sind polnische Kulturorganisationen in Berlin völliger Quatsch. „Wenn ich etwas von der polnischen Kultur erfahren will, dann fahre ich gleich nach Warschau oder Krakow.“
Wojciech Drozdek leitet seit 1979 polnische Buchabteilungen, seit drei Jahren in der Buchhandlung „One World Books“ in der Grolmannstraße. Früher kümmerte er sich auch um Schmuggelausgaben in Hosentaschenformat, in den Achtzigern bemühte er sich um die Bücher der Untergrundverlage aus Polen. Heute ist das alles nicht mehr nötig; alle Bücher gibt es ja nun in Polen zu kaufen. Der Kundenstamm hat sich dementsprechend verkleinert. Drozdek zählt keine 30 Stammkunden. „Und außerdem“, so sagt er mit einem Lächeln, „war Deutschland für polnische Emigranten ja nie eine gute Adresse. Alle großen Namen gingen nach Paris, London oder New York. Die wichtigste polnische Exilzeitschrift Kultura erscheint auch heute noch in Paris.“
Doch auch hier in Kreuzberg findet vom 18. bis 21. August im expressionistisch-dadaistischen Theater „SchauPlatz“ die Polnische Kulturwoche, die „Wachaj Nochem“ statt. Das 1987 zum ersten Mal veranstaltete Festival der polnischen Kunst will verschüttete Traditionen des deutsch-polnischen Kulturtransfers wiederbeleben. Das literarische Berlin des Fin de siècle wird in einer Ausstellung über Stanislaw Przybyszewski präsentiert, der einen Kaffeehauszirkel um Richard Dehmel, August Strindberg und Edward Munch zusammenhielt. Ein Lektor des Igel- Verlags aus Paderborn wird über die Editionsgeschichte der Schriften Przybyszewskis berichten, und auch eine Lesung aus seinem Roman „Der Schrei“ ist geplant.
Außerdem werden verschiedene Künstler der aus Danzig stammenden Kunstbewegung „TOT-ART“ mit Happenings, Videos und Livemusik auftreten. Aber außer dem SchauPlatz, der einmal im Monat eine chaotische, aber interessante „Polnische Nacht“ feiert, gibt es in Berlin den 1982 gegründeten Polnischen Sozialrat, der die polnischen Kulturtage zusammen mit der Senatsverwaltung für kulturelle Angelegenheiten unterstützt.
Er vertritt die Interessen polnischer Künstler in Berlin, organisiert kulturelle Veranstaltungen wie Ausstellungen und Rockmusikfestivals und konzentriert sich hauptsächlich auf die Jugendsubkultur.
Da sich für den Vorsitzenden Witold Kamiński soziale Problematik und Kulturarbeit nicht voneinander trennen lassen, bietet der Polnische Sozialrat auch Jugend- und Familienberatung, rechtliche, soziale und psychologische Hilfe sowie unterschiedliche Workshops an, um die Jugendlichen und besonders junge polnische Aussiedler von der Straße zu holen.
35.000 DM erhält die Institution jährlich von der Ausländerbeauftragten, eine Summe, die vorne und hinten nicht reicht. „Die Quälerei macht zu schaffen“, so Kamiński, „und das, wo Enthusiasmus und Spaß so notwendig sind.“
Auch das Polnische Kulturinstitut, 1956 in Ost-Berlin gegründet, muß mit drastischem Stellenabbau klarkommen. Die finanziellen Schwierigkeiten der polnischen Regierung betreffen auch das Berliner Institut, das sich um Ausstellungen, Konzerte, Filmvorführungen und wissenschaftliche Begleitarbeit kümmert.
Antoni Buchner, Musikreferent vom Polnischen Kulturinstitut, legt viel Wert auf Professionalität und bedauert, daß häufig nur sehr niedrige Gagen bezahlt werden können. Zu DDR-Zeiten erfreute sich das Polnische Kulturinstitut großer Beliebtheit, da dort Zeitungen und Filme immer viel liberaler als ostdeutsche über die neuen Tendenzen in Osteuropa informierten.
Unter den zahlreichen polnischen Einrichtungen in Berlin ist auch der Polnische Klub von Bedeutung, ein Begegnungszentrum mit eigener Bibliothek und Ausstellungsraum, in dem auch deutscher und polnischer Sprachunterricht erteilt wird. Der Klub wurde 1989 durch den Verband polnischer Flüchtlinge mit finanzieller Unterstützung des Berliner Senats gegründet.
Der 27jährige Marcin aus Danzig, Student der Sozialpädagogik und Gitarrist der deutsch-polnischen Rockband „B-Hungry“, ist seit sechs Jahren in Berlin und organisiert Konzerte in der Kulturfabrik, die sich über die Eintrittsgelder und eine kleine Summe vom Bildungssenat finanzieren. Er lädt polnische Bands nach Berlin ein – zum Beispiel im September die polnische „Kultband“ – und bringt Berliner Gruppen nach Polen.
Und was das polnische Theater in Berlin betrifft, so sind unbedingt die „Teatr Kreatur“ des Bühnenbildners und Malers Andrej Woron im Kreuzberger „Theater am Ufer“ zu nennen sowie die 1989 von Teresa Nawrot und Frank Klaffke gegründete Reduta- Schauspielschule, die sich an den stark auf den Schauspieler ausgerichteten Methoden des polnischen Regisseurs J. Grotowski orientiert, und die von Andrzej Szczuzewski ins Leben gerufene „Berlin Mime Company“.
Als polnisches Kulturprojekt für die Zukunft kann mit Sicherheit auch die „Multi-Kulti-Welle“ des SFB gelten, in dem ab September täglich 20 Sendeminuten für polnische, russische, arabische und kurdische Minderheiten zur Verfügung stehen. Offiziell leben zur Zeit 26.000 Polen in Berlin. Politische Intoleranz, wirtschaftliche Schwierigkeiten und Perspektivlosigkeit ließen besonders in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre und nach der Verhängung des Kriegsrechts 1981 viele polnische Emigranten nach Westdeutschland und West-Berlin kommen.
In dieser Zeit entstanden in Berlin polnische Exilverlage, Zeitschriften und viele andere gesellschaftliche und kulturelle Initiativen. Viele Polen sind nach den ersten freien demokratischen Wahlen 1989 zurück in ihre Heimat gegangen, die meisten aber sind geblieben. Die neuen Wurzeln sind für viele in Berlin.
Für Antoni Buchner vom Polnischen Kulturinstitut ist Berlin, zwischen Hoyerswerda, Solingen, Buchenwald gelegen, der Ort, von dem aus man am besten gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit wirken kann.
Viele Polen fühlen sich immer weniger wohl in Berlin. Sie wollen sich, aus Angst vor Übergriffen, nicht als Polen zu erkennen geben. Glaubt man Buchner, so sind Polen eigentlich mit anderen Ausländern in Berlin gar nicht vergleichbar: „Man empfindet sich hier nicht als Minorität. Polen ist sehr nah, und nach Berlin zu kommen, ist für Polen eine Selbstverständlichkeit.“
Selbstverständlich ist inzwischen auch der Gang ins „Myszliwska“, wo es die besten Pirogi weit und breit gibt. Henriette Klose
Im SchauPlatz vom 18. bis 21. August. Dieffenbachstraße 15, Kreuzberg. Heute um 19 Uhr Eröffnung. Am Sonntag Kiezfest.
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