: „Herrlich falsch“
■ betr.: „Zwischen Urschrei und Schamanismus“, taz vom 13.8.94
Im Vergleich zu dem, was zur Zeit in der Presse oder erst kürzlich im ZDF („Irrgarten Psychotherapie“) interessierten Menschen zum Thema Psychotherapie zugemutet wurde, war Ihr Artikel recht ausgewogen. Ich möchte zwei Dinge kommentieren:
1. Die analytische Psychotherapie nach C. G. Jung ist natürlich keine „Wühltisch“-Therapie, sondern eine Fachrichtung der Psychoanalyse. Sie gehört seit langem zu den von den Kassen geprüften und finanzierten Richtlinientherapien. Eine Auseinandersetzung mit der Aussage in Ihrem Artikel, sie „grabe nach dem kollektiven Unbewußten in der Seele“, stelle ich wegen Platzmangels mit gequältem Lächeln zurück. Das ist, so formuliert, so herrlich falsch, daß es fast wieder lustig ist. Richtig ist aber sicherlich, daß der Jungsche Ansatz den Fragen nach dem Sinn und der Heilung/Findung der Gesamtpersönlichkeit (Stichwort: Individuation) sowohl in seiner „Philosophie“ als auch in seiner Auffassung von psychischer Krankheit und deren Heilung strukturell verpflichtet ist.
Das macht C. G. Jung natürlich für manch andere Therapierichtung, für Esoteriker usw. interessant: Sie leihen sich scheibchenweise bei ihm, was sie gerade für sich und ihre Weltsicht brauchen können. Wenn er auf diese Weise auf dem Psychowühltisch landet, kann er nun wahrlich nichts dafür. Denn es ist eben so und man muß es zum Schutz der Patienten sagen: „Energiereicher werden“ à la Henry de la Motte hat vielleicht durchaus mit eigner Sinnfindung u.ä., mit Psychotherapie aber nichts zu tun.
2. Ihre Informationen, u.a. zum Titelschutz, sind leider falsch: bis heute ist der Titel „Psychotherapeut“ nicht geschützt. Jeder darf sich so bezeichnen (wobei allerdings die auf den Kassenlisten stehenden KollegInnen mit Sicherheit die vorgeschriebenen Nachweise haben). Nur beim Nachweis vorgegebener, aber nicht absolvierter Ausbildungen kann gegen Betrüger vorgegangen werden. Auch die Heilpraktikererlaubnis ist keine Zusatzqualifikation, sondern nur ein, auf Diplompsychologen zugeschnittener, Ersatz für eine Approbation, wie Ärzte sie haben. Wer ohne sie psychisch Kranke behandelt, macht sich strafbar. Joachim Burkart, Dipl.-Psych., Psychoanalytiker und Psychotherapeut, Berlin
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