Atomkontrolle nur auf dem Papier

■ Panorama: Russische Atomaufseher bemängeln die Sicherheitsvorkehrungen in Moskaus Kurtschatow-Institut

Bonn/Berlin (dpa/taz) – Die russische Atomaufsichtskommission hat nach Angaben des ARD- Magazins Panorama schwere Sicherheitsmängel in einer Moskauer Atomforschungsanlage eingeräumt. In einem laut Panorama bisher geheimen Bericht der Kommission vom Oktober 1993 heiße es, im Moskauer Kurtschatow-Institut gebe es aufgrund zahlreicher Kontrollmängel „keine Garantie dafür, daß Unbefugte Kernmaterial nicht entnehmen, stehlen oder vertauschen können“.

Mit hoher Sicherheit aus einem russischen Forschungsreaktor, vermutlich sogar aus dem Kurtschatow-Institut, stammen nach Erkenntnissen der deutschen Ermittlungsbehörden jene sechs Gramm waffentaugliches Plutonium 239, die im Mai im baden-württembergischen Tengen entdeckt wurden. Bei dem mutmaßlichen Atomschmuggler Adolf Jäkle haben dem Fernsehmagazin zufolge die Ermittler Visitenkarten zweier Wissenschaftler des Instituts gefunden. Laut Panorama, das seinen Beitrag heute ausstrahlt, listet der Kommissionsbericht die Sicherheitsmängel in der Atomforschungsanlage auf. So gebe es dort, wo das Kernmaterial aufbewahrt werde, jährlich nur eine „Inventur“. Aufgrund fehlender Instrumente könne das Institut die tatsächlich vorhandenen Mengen aber nicht messen. Auch habe im Gegensatz zum Prinzip, daß immer nur zwei Personen zugleich Zugang zu Atommaterial haben sollen, der Abteilungsleiter das alleinige Zugangsrecht.

Die Eingangskontrolle sei ein neuralgischer Punkt im Sicherheitssystem, so Panorama weiter. Bei der Lieferung wie auch beim Transport auf dem Gelände selbst werde das Atommaterial nur durch „Dokumente“ überprüft, die keine Garantie für eine Entwendung seien. Auch bei der jährlichen Inventur gehe es nur nach Dokumenten. „Die faktische Überprüfung von Kernmaterial findet nicht statt.“ Ehemalige Mitarbeiter der staatlichen Atomaufsichtskommission hatten sich bereits vor der parlamentarischen Sommerpause in einem offenen Brief an die Abgeordneten der Duma gewandt. Darin hatten sie bemängelt, daß keine der 50 atomaren Forschungsanlagen in Moskau ausreichend gesichert sei (taz, 29.7.94). Darum forderten sie die Einstellung aller atomaren Experimente in der russischen Hauptstadt, weil „die reale Möglichkeit einer atomaren Katastrophe“ bestehe. Auf eine Antwort auf ihren Brandbrief warten die Atomexperten heute noch.