: „Vorsitzender mit Sicherheit krank“
■ Interview mit dem Vorsitzenden des Deutschen Richterbundes, Rainer Voss / Er hält die Dienstunfähigkeit der Mannheimer Richter Wolfgang Müller und Rainer Orlet für rechtmäßig: „Das Präsidium mußte reagieren“
taz: Fühlen Sie sich mit der Schlagzeile der „FAZ“ richtig wiedergegeben, wenn diese titelt: „Der Mannheimer Präsidiumsbeschluß wird vom Deutschen Richterbund gebilligt“?
Rainer Voss: Ja. Der Beschluß des Präsidiums ist vollkommen in Ordnung. Beide Richter sind in ihrer Kammer geblieben, und damit hat das Präsidium das einzig Mögliche getan, nämlich die Verhinderung wegen Krankheit festgestellt und eine Vertretung bestellt. Nach dem Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) ist es nicht möglich, die Geschäftsverteilung während des laufenden Geschäftsjahres zu verändern. Es sei denn bei ganz bestimmten Voraussetzungen, die hier nicht vorliegen.
Sind wir uns einig, daß das Vorgehen des Mannheimer Präsidiums eine Umgehung der gesetzlichen Vorschriften darstellt?
Nein. Das GVG sagt, daß man den Geschäftsverteilungsplan dann ändern kann, wenn einzelne Richter dauerhaft verhindert sind.
Die sind aber nicht verhindert. Das sind doch Lügenmärchen.
Die sind krank geschrieben worden, und dann war das Präsidium gefordert.
Ist es nicht abschreckend, daß man sich solcher Lügen bedient, um eine Norm anwenden zu können, die eigentlich für den Fall einer wirklichen Verhinderung gedacht ist?
Erstens glaube ich, daß der Vorsitzende mit Sicherheit krank ist. Der psychische Druck, der auf diesem Mann liegt, ist ungeheuer. Zweitens, wenn ich als Präsidium Krankmeldungen vorgelegt bekomme, muß ich reagieren. Drittens sind wir uns auch darüber im klaren, daß es die beste der schlechten Lösungen war.
Nach dem Deutschen Richtergesetz gibt es die Möglichkeit, einen Richter mit Zustimmung zu versetzen.
Nein, da muß doch ein Antrag von dem entsprechenden Richter gestellt werden.
Eben.
Den hat er aber nicht gestellt.
Gut, dann kann man eben nichts machen. Im Unterschied zu Ihnen halte ich es nicht für die beste der schlechten Lösungen, sondern nur für eine schlechte. Ich schätze den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Unabhängigkeit der Richter höher als irgendwelche Pseudolösungen und denke, daß man für diesen Grundsatz auch skandalöse Urteile ertragen kann.
Da sind wir uns einig.
Wie können Sie dann einig sein mit dem Beschluß?
Weil der Beschluß die richterliche Unabhängigkeit nicht tangiert. Das Präsidium hatte keine Wahl.
Wenn ein Rechtsreferendar sich krank melden würde, und abends trifft er seinen Richter in der Kneipe, meinen Sie nicht, daß der nachforschen würde?
Glaube ich nicht. Natürlich entsprechen Krankschreibungen nicht immer der Wahrheit, aber man muß sie akzeptieren.
Finden Sie, daß das jetzige Ergebnis ein gutes Zeugnis für den Rechtsstaat ist?
Ich kann Richtern nicht vorschreiben, sich nicht krank schreiben zu lassen.
Ich habe Sie also nicht überzeugt.
Wissen Sie, man kann natürlich alles mögliche vermuten, aber ich will niemandem etwas unterstellen.
Wir haben doch beide genügend Menschenkenntnis, um zu wissen, daß Orlet, der nach seiner Krankschreibung noch mal im ZDF aufgetrumpft hat: „Ich stehe voll und ganz zu dem Urteil und würde es in gleicher Lage genauso abfassen“, nicht krank ist.
Ja, das ist schlimm, so jemand gehört nicht in die Richterschaft. Interview: Julia Albrecht
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