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Nie wieder Arbeiten

■ Auch die HamburgerInnen sind im Lottofieber / Gewinnerin bleibt aber die Stadt Von Tammo Löffler

Für Karin Levermann ist die Sache klar: „Ein Haus kaufen, in den Urlaub fahren und auf jeden Fall Montag nicht mehr zur Arbeit gehen.“ Die 31jährige „lottot“ an diesem Wochenende das erste Mal und mit ihr spielen „wahrscheinlich über 500.000 HamburgerInnen“, schätzt Jürgen Wulfestieg, Marketingleiter der Nordwest Lotto und Toto GmbH.

Doch die meisten SpielerInnen machen sich erst gar keine Hoffnung auf das große Geld. „Ich gewinne ja sowieso nicht“, meint Karl Horn. Wenn es ihm wider Erwarten gelänge, Multimillionär zu werden, dann kauft er sich Immobilien und verschenkt den Rest des Geldes an seine Familie.

Dichtgedrängt stehen die potentiellen Lottokönige in der Annahmestelle von Thomas Nielsen in Altona. „13 Mark, dankeschön“, sagt Nielsen und grinst verschmitzt: „Vielen, die zum ersten Mal spielen, muß man das System erklären, – das macht dann 50 Mark und 50 Pfennige –, das nervt mit der Zeit schon.“ Nielsen ist im Dauerstreß, kassiert während des Gesprächs weiter. Er schätzt, daß 30 Prozent mehr als gewöhnlich an diesem Freitag gespielt haben. Im Schnitt gäben die Kunden - „zehn Mark, danke“ - etwa 17,50 Mark aus, also einen vollen Schein. Thomas Nielsen selbst tippt pro Woche nur vier Kästchen, „man muß halt Glück haben.“

Thomas Schweitzer, Leiter einer Annahmestelle in der Großen Bergstraße rechnet allein für den gestrigen Freitag mit über 700 GlücksspielerInnen. „Das ist natürlich die Ausnahme, aber bei 21 Millionen Mark spielen auch Kunden, die sonst nur Tabakwaren oder Zeitschriften kaufen.“

Psychologisch ist der „run“ auf die Lottoscheine leicht nachzuvollziehen. Erich Witte, Sozialpsychologe von der Universität Hamburg, findet die Spielwut der HamburgerInnen sogar logisch: „Die Menschen verhalten sich durchaus rational, denn die Chancen auf den Jackpot bleiben gleich, aber die Gewinnsumme erhöht sich.“

Der eigentliche Gewinner des Glücksspiels ist jedoch die Stadt Hamburg, denn die kassiert bei der Lotterie kräftig ab. Von den 100 Prozent Einnahmen, werden 50 Prozent als Gewinne wieder ausgeschüttet. Sieben Prozent bekommen die Lottoannahmestellen als Provision und schließlich bleiben nach Abzug der Verwaltungskosten rund 40 Prozent als Einnahme für das Hamburger Stadtsäckel übrig.

„Das waren 1993 immerhin 150 Millionen“, so Lotto-Fachmann Jürgen Wulfestieg. Das Geld ist bis auf eine 15prozentige Abgabe an den Sportbund nicht zweckgebunden.

Welches Haushaltslöcher durch die Lottoeinnahmen gestopft werden, bleibt ungewiß.

Karin Levermann jedenfalls wird wohl auch am Montag wieder zur Arbeit gehen müssen und Karl Horn braucht sich bestimmt keine Sorgen machen was er mit dem Geld anfangen soll. Aber vielleicht...

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