Polizeigewahrsam „passiert häufig“

■ Interview mit dem Polizeichef zur Auflösung der Antifa-Demo am 13.8.

Dürfen Antifaschisten in Bremen nicht gegen einen geplanten Neonazi-Aufmarsch demonstrieren? In den letzten beiden Tagen sind bei uns die Anwälte Klischies und Engel zur Wort gekommen mit ihrer Kritik an dem Polizeieiansatz gegen AntifaschistInnen am 13. August. Heute haben wir den den amtierenden (stellvertretenden) Polizeichef Albert Lohse zu den Vorwürfen befragt.

taz: In der Begründung für das Verbot der antifaschistischen Demonstration steht: „Im Zusammenhang mit Ihren Veröffentlichungen zum 3. Oktober ist Ihr Begriff von Faschismus noch nicht einmal nachvollziehbar.“

Kann es für ein Demonstrationsverbot bedeutsam sein, ob die Polizei die Begrifflichkeit der Demonstranten nachvollziehen kann?

Albert Lohse, Polizeipräsident: Nein. Aber das Stadtamt hat die Demonstration verboten, nicht die Vollzugspolizei. Die Verbotsverfügung leidet sicherlich unter dem Mangel, daß die Anmeldung erst am Freitag nach Mittag erfolgte und daß in der Kürze der Zeit die Nachprüfung sehr schnell gehen mußte. Insofern kann es sein, daß das nicht die richtige Formulierung für alle Zeiten ist.

Demonstranten müssen, doch - extrem formuliert - jeden Quatsch denken dürfen...

... das ist unstrittig.

Warum hat die Polizei am Samstag morgen - als klar war: die Neonazis kommen nicht - die Demonstranten nicht geduldet?

Ich muß beginnen mit der Rechtslage. Diese Versammlung war verboten. Zu diesem Zeitpunkt, diese Leute. In § 15 der Versammlungsgesetzes steht: Eine verbotene Versammlung ist aufzulösen. Das ist keine Kann-Bestimmung mehr. Solange die da stehen und untereinander quatschen, sag' ich mal, kann man großzügig darüber hinwesehen. In dem Moment, wo sie mit Megaphon sich artikulieren, ist das die am Vortag verbotene Versammlung.

Gibt es nicht den Grundsatz der „Verhältnismäßigkeit der Mittel“? Wieso konnten Sie nicht sagen: Laßt die auch per Megaphon quatschen?

Die Verhältnismäßigkeit der Mittel bezieht sich nicht auf die Maßnahme, sondern auf die Wahl der Mittel. Wir waren stark genug und wir hatten die Möglichkeit, das Verbot moderat durchzusetzen. Es waren praktisch für jeden Demonstranten drei Beamte da.

Das Megaphon allein wegzunehmen wäre kein milderes Mittel gewesen?

Man hat versucht, an das Megaphon heranzukommen, da hat sich ein Cordon gebildet. Polizeirechtlich gibt es keine Möglichkeit, das Megaphon zu beschlagnahmen und dann eine verbotene Versammlung zu dulden.

Macht es für die Polizei einen Unterschied, ob da Neonazis demonstrieren oder ob Leute demonstrieren, die sich Neonazis in den Weg stellen wollen?

In dem Moment nicht, wo geprüft ist, daß hier eine verbotene Versammlung vorliegt. Dann macht das kein Unterschied mehr.

Nach ihrer Festnahme sind die Demonstranten in Polizeigewahrsam genommen worden. Wann ist das letzte Mal in Bremen passiert?

Das passiert sehr häufig.

Ist mal juristisch überprüft worden, unter welchen Voraussetzungen die Polizei das darf?

Wir haben in jedem Fall den Richter einzuschalten. Der Richter hat uns am Samstag gefragt, wielange der Gewahrsam andauern soll, und dann gesagt: Bevor ich eine Entscheidung fälle, ist der Gewahrsamsgrund aufgehoben. Insofern hat er die kurze Zeit von zwei oder drei Stunden akzeptiert.

Warum wurden Demonstranten in Gewahrsam genommen?

Man muß versuchen, diese Versammlung zu unterbinden. Wenn man alle sofort wieder freiläßt, dann hat man ja die gleiche Versammlung in Fortsetzung.

Konnte die Polizei nicht am Samstag um 9 Uhr dem Stadtamt sagen: Die Neonazis sind nicht im Anmarsch ...

Das Stadtamt geht unabhängig von der Frage, ob die Versammlung von Herrn Privenau stattfindet oder nicht, davon aus, daß diese Versammlung (der Gruppe Lego, d. Red.) die Gefahr in sich birgt, gewalttätig zu verlaufen, zumal das Stadtamt unterstellt, daß durch das Erscheinen der Versammlungsteilnehmer die andere Seite dazu gereizt wird, aktiv zu werden.

Das heißt im Klartext: Wo immer eine demokratische Versammlung Neonazis provozieren könnte, kann man mit dieser Begründung die demokratische Versammlung verbieten.

Ich weiß. Das ist des öfteren auch passiert ist, weil die Gefahr bestand, die beiden nicht auseinanderhalten zu können. Dann wurden immer beide verboten. Die Gefahr, die Sie ansprechen, besteht, das muß man sehen. Int.: K.W.