: documenta der Karikatur
Die erste Triennale mit 46 Cartoonisten aus West- und Ostdeutschland im Satiricum in Greiz, einst zentrales Karikaturenmuseum der DDR ■ Von Peter Köhler
In der hübsch im Tal der Weißen Elster gelegenen Kleinstadt Greiz im südlichen Thüringen gibt es seit 1991 den Verlag Weisser Stein, der komische Literatur und Cartoons verlegt. Und hier residiert das Satiricum, ein Karikaturenmuseum mit einzigartigen Beständen vom 17. Jahrhundert an und derzeit Schauplatz der ersten Triennale: einer Ausstellung von 46 Cartoonisten aus West- und Ostdeutschland, die einen unterhaltsamen Überblick über Stile und Themen der komischen Zeichenkunst von heute gibt.
400 Exponate vom humoristischen Ölgemälde über die Witzzeichnung bis zum Comic warten auf Betrachter, und auch Buchillustrationen, Fotocollagen, Computergrafiken und komische Kleinplastiken wollen belacht werden – geschaffen von fast ausschließlich nach 1949 geborenen Künstlern von A wie Renate Alf bis Z wie Ottfried Zielke, über beispielsweise E (wie Eugen Egner), G (das heißt Achim Greser), R (Rattelschneck), K (nämlich Kriki) und S (und zwar Michael Sowa).
Eine deutsche Meisterschaft der Cartoonisten ist es nicht, allein schon deshalb, weil altgediente Champions wie F.K. Waechter oder F.W. Bernstein nicht mit von der Partie sind. Es ist eher eine documenta der Karikatur, zu der ausgewählte Künstler von einem eigens geschaffenen Beirat eingeladen wurden. Schon das unterscheidet die Triennale von ihrem Vorgänger am Ort, der Biennale: einer von 1980 bis 1990 zweijährlich abgehaltenen repräsentativen Leistungsschau des DDR-Cartoons, deren Teilnehmer der Verband Bildender Künstler aus den 120 ihm angeschlossenen Karikaturisten bestimmte. Das Satiricum nämlich geht in seinem Grundstock zwar auf die Sammlungen des bis 1918 in Greiz regierenden Fürstenhauses Reuß älterer Linie zurück, ist aber eine DDR-Gründung: 1975 wurde es als zentrales Karikaturenmuseum der DDR ins Leben gerufen. So verfügt das Museum über eine wertvolle Kollektion englischer, französischer und deutscher Karikaturen des 18. und 19. Jahrhunderts, und der Engländer William Hogarth, der Deutsche Daniel Chodowiecki und der Franzose Honoré Daumier sind die Glanzpunkte. Mehr als die Hälfte des Bestandes aber sind DDR-Cartoons: 10.000 Blätter, die das mehr oder weniger komische Zeichnen bis in die SBZ-Zeit zurückdokumentieren.
Mit der Wende kam fast das Ende. Der bevorzugte Status als nationales Karikaturenmuseum entfiel, die Finanzierung wurde unsicher, Angestellte wurden entlassen. Jene Phase, als man mit dem Satiricum als einem DDR-Relikt Schluß machen und alles vergessen und verdrängen wollte, ist vorbei – Gotthard Brandler sei Dank. Er, Direktor seit Oktober 1990 und vorher zehn Jahre freiberuflicher Kunsthistoriker in Ostberlin, baut für die Zukunft im Gegenteil auch auf dieses einzigartige „Archiv für die DDR-Zeitgeschichte“, einem kostbaren „Fundus der DDR-Kulturgeschichte“. Man denkt über eine Retrospektive nach, doch erst mal steht Alltagsarbeit an: Archivierung, Inventarisierung, kurzum die Erschließung der Bestände.
„Nicht Schnellschüsse, sondern solide historische Forschung“ wünscht sich Brandler, dessen Fleiß und Beharrlichkeit die finanzielle und personelle Konsolidierung des Museums im neuen Deutschland zu verdanken ist. „Die Geschichte des DDR-Cartoons ist erst noch sorgfältig zu rekonstruieren. Wie arbeitete die Zensur, welche Themen durften nicht gemacht werden, wie waren die Künstler organisiert, welche Entwicklungen gab es, wie war die Ausbildung? Außer ein paar Dissertationen gibt es kaum Arbeiten auf diesem Gebiet. Antworten aus dem Stegreif sind deshalb unmöglich.“ Cartoons aus der DDR-Zeit werden auch weiterhin angekauft, ebenso wie Bestandslücken in den anderen Sammelgebieten nach und nach geschlossen werden; große Sprünge läßt der schmale Anschaffungsetat aber nicht zu. Immerhin stehen Brandler, der anfangs ganz auf sich allein gestellt war, jetzt endlich wieder zwei wissenschaftliche Mitarbeiter – beide übrigens aus dem Westen – zur Seite, und man hofft, die „Greizer Studien“, eine noch in der DDR begonnene Publikationsreihe, wieder aufnehmen zu können.
Genau wie die ernste Kunst altert natürlich auch die komische. Gerade die der DDR sieht heute ziemlich alt aus, da ihre Voraussetzungen verschwunden sind. Die DDR-Cartoonisten hatten eine eigene Sprache entwickelt und brachten nicht nur harmlosen Alltagshumor, sondern in den letzten Jahren auch zunehmend Gesellschaftskritik zu Papier; aber „vieles ist so verschlüsselt, daß man heute kaum noch weiß, worum es geht. Viele Cartoons sind erläuterungsbedürftig“, so Brandler. Die Furcht der Herrschenden vor der Unberechenbarkeit der Komik deformierte auch die Komik selbst: sie selbst wurde berechenbar. DDR-Cartoons scheinen oft reine Verstandessache zu sein und sich nur über Analyse und schrittweises Begreifen zu erschließen – während Komik doch plötzlich, vorbewußt kapiert werden und einen zum Platzen bringen muß.
Wie einst die Biennale soll nun die Triennale eine feste Einrichtung werden und alle drei Jahre stattfinden. Man darf gespannt sein, ob sich das Satiricum mit dieser Weltausstellung deutscher Karikatur – zu der immerhin auch ein in Wien lebender Deutscher, Tex Rubinowitz, und einer aus New York, Til Mette, antreten – als feste Größe etabliert. Die Chancen dafür sind nicht schlecht, denn die komische Kunst im allgemeinen und die komische Zeichenkunst im besonderen stehen in Blüte: Der Kommunismus hat die Welt nur verschiedentlich verändert, es kommt aber darauf an, sie lächerlich zu machen!
Triennale Greiz 1994. 20.8. bis 30.10. im Sommerpalais Greiz. Di.–So. 10–17 Uhr. Eintritt 3 DM. Ein Katalog ist im Verlag Weisser Stein erschienen.
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