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Hauptsache, Mexiko verändert sich

In den Tagen vor den Wahlen ist die Stimmung aufs äußerste gespannt / Unabhängige BeobachterInnen aus aller Welt sollen für einen korrekten Ablauf sorgen  ■ Aus Mexiko-Stadt Anne Huffschmid

Frau W. neigt nicht zur Panikmache. Die 94jährige Dame aus Hamburg lebt immerhin schon über sechs Jahrzehnte in Mexiko. Jetzt aber ist sie fassungslos über meinen „Übermut“, sich für den Tag danach zu einem Interview mit ihr zu verabreden. „In der ganzen Zeit ist es niemals auch nur annähernd so gefährlich gewesen wie jetzt“, meint die exilierte Hispanistin und gesteht: „Ich habe Angst. Wenn nur ein paar Leute totgeschlagen werden, dann können wir von Glück reden.“

Viele teilen die Befürchtungen der alten Dame. Verabredungen werden „bis auf weiteres“ ausgesetzt, nicht wenige raten dazu, sich schon jetzt mit Wasser- und Lebensmittelvorräten einzudecken.

Nicht minder heftig als die Ängste sind die Hoffnungen, die sich mit dem magischen Datum 21. August verbinden: An diesem Tag schlage die „Stunde Null“ für die Demokratie und beginne eine „neue Epoche“. Hinter dem Wirbel um den Präsidentensessel gehen die parallelen Wahlen für Parlament und Ländervertretungen fast unter. Für den Historiker Adolfo Gilly geht es um eine Art „Referendum“ über Kontinuität oder den Übergang in eine „neue Republik“. Das Votum für die Kontinuität wäre, darin sind sich politische Beobachter weitgehend einig, ein mittleres Sicherheitsrisiko. So glaubt der Politologe Jorge Castañeda sogar, daß für „die vielen, die in Mexiko die PRI einfach satt haben“, die Frage der Sauberkeit „fast zweitrangig“ ist. „Es wäre ein Drama, wenn trotz des überwältigenden Wunsches nach Veränderung die PRI – wegen der Trägheit des Systems und der Spaltung der Opposition – weiterhin an der Macht bliebe.“

Unterdessen bereiten sich die Sicherheitskräfte vor: der Flughafen wird extra überwacht, um Waffenimporte oder „ausländische Terroristen“ abzufangen; schon in den letzten Wochen waren baskische Staatsbürger als mutmaßliche ETA-Leute festgenommen worden. In „risikoreichen“ Wahlbezirken, in denen „einige politische Parteien Demonstrationen veranstalten, um die Legalität des Prozesses zu stören“ – so wörtlich eine Broschüre zur „Operation Wahlen 1994“ – sollen verstärkt Polizeikräfte patrouillieren.

So manches Zeichen steht aber auch auf Entwarnung: die Zapatistenguerilla im Süden hat die Einhaltung des Waffenstillstandes versprochen, und die Unternehmerelite des Landes will jetzt, als „verantwortungsbewußte Bürger“ die Gelder im Lande zu behalten.

Wie wahrscheinlich ein Sieg der Opposition ist, läßt sich nur schwer abschätzen. Zwar prophezeien die meisten der Befragungen einen klaren Vorsprung der Regierungspartei – der zwischen 40 und 45 Prozent der Stimmen zugeschrieben werden – vor dem PAN-Kandidaten Diego Fernández de Cevallos (s. Portrait auf Seite 11), mit 20 bis 25 Prozent; die PRD würde danach, mit zehn oder 15 Prozent, auf einem abgeschlagenen dritten Platz landen. Ausschlaggebend könnten die Unentschiedenen sein. Viel wird außerdem von der Wahlbeteiligung abhängen. Je mehr Wähler, so der Unesco-Experte Roger Worcester, desto größere Chancen für die Opposition: „Wenn nur 40 Prozent der Leute wählen, dann gewinnt die PRI. Mit 55 Prozent geht sie schon ein gewisses Risiko ein. Wenn aber über 70 Prozent der Leute wählen gehen, dann ist alles offen.“

Sicher scheint zur Zeit nur eins: Selbst wenn die PRI es schaffen sollte, unter den Augen der Weltöffentlichkeit einen „sauberen“ Wahlsieg zu erringen – eine satte absolute Mehrheit, wie seit Jahrzehnten gewohnt, wird es diesmal sicher nicht werden.

Diesmal würde das Computersystem nicht „abstürzen“, versicherte der Direktor des Landeswahlinstituts Arturo Nuñez seinen mißtrauischen Landsleuten. Dennoch: Glauben oder nicht glauben, das wird hier, ab Sonntag abend, vor allem die Frage sein. Daß sich das Trauma von 1988, als ein angeblicher Computerausfall eine Verifizierung der umstrittenen Wahlergebnisse verhinderte, nicht wiederholt, dafür wollen diesmal an die 60.000 WahlbeobachterInnen sorgen.

Sorge wegen alter Mächte auf dem Lande

Begonnen hatte das Beobachtungsfieber mit der Bürgerinitiative „Alianza Cívica“, der wichtigsten von 14 unabhängigen Organisationen, die von der UNO für den landesweiten Wahlcheck unterstützt wurden. Julio Faesler, Mitbegründer der Alianza beobachtet mit Sorge die alten Mächte auf Landes- und Kommunalebene: „von den Gouverneuren über Bürgermeister bis hin zu den lokalen Kaziken. Die werden wahrscheinlich versuchen, in altbewährter Manier Druck auszuüben und zu manipulieren.“ In sieben Bundesstaaten wurden Mitglieder von „Alianza Cívica“ zur Zielscheibe von Einschüchterungsversuchen, Überfällen und Verleumdungskampagnen.

Begleitet werden die nationalen Beobachter von rund 1.000 ausländischen „BesucherInnen“, von denen allein 700 aus den USA kommen. Eine Kompromißlösung: diese „Besucher“, von der Regierung ohnehin nur zähneknirschend zugelassen, dürfen zwar beobachten, aber – zumindest für die Zeit ihres Mexiko-Aufenthaltes – keinerlei Urteil über das Gesehene abgeben. Als stumme Zeugen aus Deutschland sind, neben VertreterInnen der Gesellschaft für Bedrohte Völker, der Grünen und des Ökumenischen Kirchenrates, zwei renommierte Lateinamerikaexperten mit von der Beobachtungspartie. Albert von Gleich, Direktor des Instituts für Iberoamerika-Kunde in Hamburg, zeigte sich bei seinen Streifzügen durch das mexikanische Vorwahlfieber schockiert über die letzte Wahlkundgebung von PRI-Kandidat Ernesto Zedillo: eine ganz offensichtlich „kommandierte Veranstaltung, ohne jede echte Begeisterung“, zu der die Leute „mit Freßpaketen und Bussen von weither gekarrt“ wurden.

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