: Getanzte Leitartikel
Ein Zwischenbericht vom Berliner Festival „Tanz im August“ ■ Von Michaela Schlagenwerth und Peter Laudenbach
Schon früher sind Engel in Berlin eingefallen, mitten hinein in Wim Wenders elegischen Film. Heute weht sie der Sturm der Geschichte in andere Orte, zum Beispiel auf die Bühne des Berliner Hebbel-Theaters in ein Tanzstück von Susanne Linke, uraufgeführt beim Berliner Festival „Tanz im August“. Ein Engel stolpert in eine düstere Szenerie: Linkes „Märkische Landschaft“ hat mit Fontanes Wanderungen durch Brandenburg wenig zu tun: kein Idyll, statt dessen Mauern aus Eisen, und am Rand der Bühne ein Zaun aus Straßenlampen – Gefängnisatmosphäre, Grenzanlagen, antifaschistischer Schutzwall. Depressiv und unsäglich deutsch. Ein schwerfälliger Engel fuchtelt mit einem riesigen Tuch, Trommelwirbel und Windstoß – aha, das ist die Wende, die neue Freiheit, der Windstoß des „Epochenbruchs“ (Botho Strauß) – oder, um mit Helmut Kohl zu sprechen, der Mantel der Geschichte. Solche Assoziationen sind nicht zufällig: So leer-pathetisch, gespreizt feierlich und bedeutungsschwanger wie Strauß' neuere Prosa, so klischeegesättigt wie Helmuts Phrasen ist Linkes Reflexion der deutschen Misere. Über den ideologischen Pomp kann auch das abgedroschene Walter-Benjamin-Zitat im Programmzettel nicht hinwegtäuschen. Aber was geschieht dem Klischee-Engel? Das blöde Volk lacht ihn brutal aus, verscheucht ihn und kriegt dabei gar nicht mit, daß hinter seinem Rücken ein Spielzeugmercedes die Gunst der Stunde nützt und ungehindert die Bühne überquert. Achtung, Ironie! Wieviele Mercedes-Modelle rollten wohl in den letzten Jahren über deutsche Bühnen, um den bösen Kapitalismus zu verkörpern? So funktioniert der ganze, durchaus nicht völlig gescheiterte Abend: Getanzte Leitartikel, Fortsetzung des Talkshow-Geplauders zur „deutschen Befindlichkeit“ mit anderen Mitteln. Susanne Linke präsentiert sich als Gräfin Dönhoff des deutschen Tanztheaters. Das ist weniger dumpf als Johann Kresniks unsägliche „Wendewut“ (aber das ist auch kein großes Kunststück) oder Klaus Pohls Kolportagereißer „Karate-Billy kehrt zurück“. Trostlos und langweilig ist es dennoch: Linke findet keine Bilder, sie reproduziert Klischees. Ihre Kunst ist nicht reicher, vieldeutiger als die platte Medieninformation, sie ist plakativer. Schlimmeres kann man über politisches Theater kaum sagen.
Die gute alte Stasi-Hysterie wird mit dem aus Funk und Fernsehen bekannten Geruchsprobenarchiv der Staatssicherheit gefüttert. Auf der Bühne sieht das dann so aus: Ein Mann trägt ein grünes Kleidchen unter seinem Mantel, er ist also anders, und das erkennen die ordentlichen Trenchcoatträger sofort. Der Mantel wird ihm vom Körper gezerrt, aus seinem Kleid (also direkt aus seinem Anderssein) wird ein Stück Stoff herausgeschnitten und, nachdem er seine verschwitzte Achselhöhle damit abwischen mußte, in einem Marmeladenglas verstaut. Schließlich wird ein Regal, vollgestellt mit Marmeladengläsern, quer über die Bühne geschoben, lauter gestohlenes und arretiertes Anderssein. Ja, so war das damals. Und heute? Heute ist auch nicht alles gut, und vielleicht sind im Kapitalismus alle noch viel gleicher als im real Existierenden. Da schauen Herren (logischerweise auch im Trenchcoat) immerzu auf ihr Handgelenk auf eine imaginäre Uhr – und das sind natürlich die Bösen. Sie trennen zwei ausgelassen Tanzende und können den einen in ihre Ordnung einreihen. Der schaut nun auch auf seine Uhr, spielt gleich das Oberschwein und treibt seine neuen Kumpel dazu, den früheren Mitdissidenten von der Bühne zu jagen: Ja, so sind sie, die Wendehälse. Jedes Bild liefert seine Dechiffrierung mit, das Zusehen wird zur Zeitungslektüre. Der Premierenerfolg spricht gegen das Publikum: Der Jubel im ausverkauften Hebbel-Theater beweist, daß Tanztheater mittlerweile wie die „Tagesthemen“ rezipiert wird – eine Haltung, die den Tanz überflüssig macht.
Traurig ist dieses Desaster aus mehreren Gründen: Linke ist eine der interessantesten deutschen Tanztheaterkünstlerinnen. An diesem Abend begibt sie sich entschieden unter ihr Niveau. Ihr Scheitern ist symptomatisch: Das Ausweichen ins Stereotyp, das Recycling von Medienklischees markiert die allgemeine Unfähigkeit, ästhetisch auf die politischen Abgründe zu reagieren. Aber auch kulturpolitisch ist diese Premiere deprimierend: „Märkische Landschaft“ ist die erste Choreographie von Susanne Linke im Rahmen einer langfristig angelegten Zusammenarbeit mit dem Hebbel-Theater Berlin. Die Finanzierung dieser Kooperation mußte in der maroden Berliner Kulturlandschaft hart erkämpft werden. Das ist eine dringend notwendige Bereicherung der kümmerlichen Tanzszene. Ein schlechter Start, aber wahre Lieben kommen bekanntlich langsam in Gang.
Wie dröge es in Berlin zugeht, zeigt eine der profiliertesten Off- Gruppen: Zu Karl Heinz Stockhausens „Hymnen“, einer Komposition aus den sechziger Jahren, sind vor allem martialische Ledermäntel und klobige Stiefel zu besichtigen. Gewalttätig, nervtötend, aber immerhin schön deutsch. Stockhausen benutzt diverse politische und nationale Hymnen, die Fetzen sind oft kaum zu identifizieren – sie werden von Pfeifen, Rauschen und Quietschen bombardiert. Rubato wollte sich auf den Weg zu dieser Musik machen und ist irgendwo mittendrin leider liegengeblieben: mühsam, bleischwer und gewollt hehre Kunst. Eine Zumutung.
Nichtsdestotrotz ist das diesjährige „Tanz im August“-Festival kein Flop. Der Höhepunkt kam von Michael Clark, dem enfant terrible der britischen Tanzszene: Nach der Uraufführung von „O“, seiner Tanz-Version von Strawinskys „Apollon“, kürte ihn die britische Presse zum Balanchine des ausgehenden Jahrhunderts. „O“ ist die geniale Auferstehung von George Balanchines neoklassizistischer Choreogrpahie zu Strawinskys Musik, traditionsgebunden und hochexplosiv gegenwärtig.
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