: Trostpflaster lindert Lungenschmacht
Täglich ein Nikotinpflaster kann den Griff zum Glimmstengel überflüssig machen ■ Von Annette Wagner
Am 1. Juli war Stichtag. Seitdem darf in deutschen Apotheken over the counter verkauft werden, was bis dato nur gegen Rezept abgegeben werden durfte: das Nikotinpflaster. Entzugswillige Nikotinsüchtige mögen die Freigabe des umstrittenen Medikaments begrüßen. Sich das Rauchen abzugewöhnen scheint jetzt noch unkomplizierter und ohne großen Zeit- und Geldaufwand möglich. Denn der tägliche Klebeersatz kostet genauso viel wie die tägliche Schachtel Zigaretten.
Suchttherapeuten hingegen befürchten eher, daß der erleichterte Zugang zu unkontrollierter sporadischer Anwendung und in deren Folge zu einer Massenenttäuschung führen könnte. Durch die Freigabe bekommt das Präparat in der Öffentlichkeit den Status eines Hühneraugenpflasters: einfach aufkleben – und fertig! Tatsächlich kann es nur in Verbindung mit entwöhnender Verhaltenstherapie helfen, dauerhaft von der Zigarette wegzukommen – solange es konsequent geklebt wird. Dann allerdings ist es erwiesenermaßen effektiv.
Pflasterträger schaffen nicht nur den Ausstieg aus der Sucht schneller, sie bleiben auch langfristig eher clean: Ihre Abstinenzrate nach einem Jahr – darin stimmen die Ergebnisse dänischer, englischer, amerikanischer und Schweizer Tests überein, liegt bei rund 15 Prozent. Während Rauchstopps ohne pharmakologische Unterstützung lediglich zu 5 Prozent erfolgreich sind.
Auf den ersten Blick mag es absurd erscheinen, jemanden mit reinem Nikotin zu bepflastern, um ihn vom Nikotin wegzubringen. In der Tat handelt es sich bei diesem „gesunden Rauchen“ – ohne den attraktiven Duft, aber auch ohne die vierzig krebserzeugenden Giftstoffe des Tabaks – nicht um echte Substitution. Aber der Therapieansatz ist der gleiche: Das Pflaster hilft, den körperlichen Entzug von der psychologischen Entwöhnung zu entkoppeln. Es unterdrückt beziehungsweise mildert – besonders in der schwierigen Anfangsphase – die physiologischen Entzugserscheinungen: das unbändige Rauchverlangen (Lungenschmacht genannt), Gewichtszunahme, Unruhe und Schlaflosigkeit. Der Patient muß derweil üben, seine Anflüge von Nervosität, Angst, Langeweile und Kontaktscheu anders zu überbrücken als mit dem Griff zur Zigarette. Haben die neuen Verhaltensmuster sich stabilisiert, darf er die Pflasterstärke schrittweise herabsetzen, um sich aus der Nikotinabhängigkeit „rauszuschleichen“.
Nikotinpflaster werden in drei verschiedenen Größen angeboten. Aus einer Fläche von zehn, zwanzig oder dreißig Quadratzentimetern sollen laut Hersteller innerhalb von 24 Stunden 7, 14, oder 21 Milligramm der insgesamt im Pflaster enthaltenen Nikotinmenge durch die Haut diffundieren. Was laut Beipackzettel einer vormaligen Tagesdosis von zehn, zwanzig, oder dreißig Zigaretten entspricht. So einfach, wie die Pharmafirmen es ihren jetzt im Alleingang entziehenden Kunden suggerieren wollen, ist die optimale Dosierung jedoch nicht zu ermitteln. Erstens hängt der therapeutische Tagesbedarf natürlich auch vom Nikotingehalt der vormals geschmauchten Marke ab. Und zweitens variiert es aktuellen Forschungsergebnissen zufolge ganz subjektiv, von Mensch zu Mensch, welchen Anteil des aufgeklebten Nikotins einer in seine Blutbahnen zieht.
Warum macht das Pflaster nicht genauso abhängig wie die Zigarette selbst? Dem Münsteraner Pharmakologen Klaus Opitz zufolge macht es für das Suchtverhalten einen entscheidenden Unterschied, wie und vor allem wie schnell Nikotin ins Hirn flutet. Beim Inhalieren kommt der Kick über den Lungenkreislauf schon nach sieben Sekunden an. Danach ebbt der Nikotinspiegel rasch wieder ab. Und steigt. Und sinkt. Und steigt. Bei einem durchschnittlichen Raucher – eine Schachtel am Tag, zehn Züge pro Zigarette – rund 73.000mal im Jahr. Dieser permanente, anregende Konzentrationswechsel ist es, der süchtig macht.
Das Pflaster hingegen versorgt den Patienten zwar mit dem begehrten Stoff – aber nicht stoßartig, sondern langsam und kontinuierlich. Über 24 Stunden hinweg sorgt es für einen gleichmäßigen Nikotinspiegel im Blut. Es nützt dem Raucher auf Entzug also gar nichts, wenn er in unbewußter Streßreaktion mit dem Daumen heftig auf das Pflaster drückt.
Der seit Anfang des Jahres in Deutschland rezeptfrei verkäufliche Nikotinkaugummi eignet sich aus therapeutischer Sicht deshalb nicht als alleiniger Entwöhnungshelfer, weil bei der Absorption über die Mundschleimhaut das Nikotin ähnlich schnell ins Hirn schießt wie beim Rauchen: Der Abhängige wird in seinem Verhaltensmuster bestärkt. Unsinnig erscheinen aus dem gleichen Grund die in Skandinavien bereits erhältlichen Nikotin-Sprays und -Inhalatoren.
Eine Kehrseite hat allerdings auch das Nikotinpflaster: Ein Viertel der Patienten verträgt es nicht auf der Haut, leidet unter Pusteln und Juckreiz. Ein Zehntel zeigt so starke Hautreaktionen, daß die Therapie abgebrochen werden muß. Auch Kopfschmerz, Schwindel, Schlaflosigkeit und erhöhte Herzschlagfrequenz können als Nebenwirkungen auftreten. Lebensgefährlich ist es allerdings sicher nicht. Klebt sich ein gesunder Patient eine Überdosis Nikotin, wird ihm ganz einfach schlecht. Und daß es selbst für Risikopatienten wie Herzkranke – die es laut Beipackzettel nicht verwenden dürfen – keine Gefahr darstellt, wurde auf einem Suchtkongreß unter anderem mit einer makabren Anekdote belegt: Ein lebensmüder Koronarkranker versuchte sich umzubringen, indem er sieben Maxipflaster auftrug – und gleichzeitig zwei starke Zigaretten rauchte. Er lebt heute noch.
Fakt ist also, daß entzugswillige Raucher mit dem therapeutischen Tandem – Therapie und Pflaster – erwiesenermaßen gut fahren. Fakt ist auch, daß die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Nikotin bereits 1988 zur abhängigmachenden Droge erklärt hat – und daß allein in Deutschland jährlich 140.000 Menschen an Folgeerkrankungen des Rauchens sterben. Trotzdem machen die deutschen Krankenkassen weiterhin keine Anstalten, ärztliche Motivationsgespräche, Therapien und Medikamente zu erstatten. Beim AOK-Bundesverband gilt der Versuch, dem Glimmstengel abzuschwören, nach wie vor als eine „Angelegenheit der Lebensführung“. Weshalb Nikotinpflaster weiter auf der Liste „nicht erstattungsfähiger Medikamente“ stehen – zwischen Potenzmittel und Süßstoff.
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