„Rein maritime Absicht“

■ Indische Reedereiflagge mit Hakenkreuz gehißt / Trotzdem Freispruch

Der 73jährige Nord-Bremer Ernst C. besitzt eine Kollektion von rund 400 Flaggen. Von denen zieht er täglich fünf bis sechs an einem Kreuzmast in die Höhe und grüßt so die an der nahen Weser vorbeiziehenden Schiffe. Eines dieser lustigen Fähnchen ist ihm im letzten Jahr zum Verhängnis geworden: vor blauem Hintergrund ist auf dem Tuch ein rotes Hakenkreuz im weißen Kreis zu sehen. Ein Anonymus brachte das zur Anzeige und den Rentner Ernst C. vor Gericht.

Das Amtsgericht Blumenthal hatte den Mann im vergangenen Jahr zunächst freigesprochen, weil es sich um eine indische Reedereifahne handelt, die das jahrhundertealte Symbol des Hakenkreuzes im Emblem führt. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen dieses Urteil jedoch Rechtsmittel eingelegt. Das Bremer Landgericht mußte den Fall erneut behandeln. Die Anklage lautete auf „Verwendung von nationalsozialistischen Kennzeichen“.

Ernst C. ist 35 Jahre zur See gefahren. Im Krieg mußte er sich zweimal vor einem Marinegericht wegen Sabotageverdachts verantworten, wurde aber nicht verurteilt. Sein Vater, ein Zeuge Jehova, wurde im Dritten Reich verhaftet. Zum aufrechten Fähnlein der alten Kameraden will er nicht gehören: C. gibt an, nie in der NSDAP oder anderen rechtsextremen Organisationen gewesen zu sein.

Als Flaggennarr, dem alte Kapitäne manches wertvolle Stück zustecken, weil sie es bei ihm in guten Händen wissen, stellt ihn sein Verteidiger dar. Das corpus delicti hat C. freilich nach einer Vorlage von einer Schneiderin nähen lassen. Das Nachfertigen von Flaggen sei aber üblich, um die Sammlung zu vervollständigen, läßt er wissen. Bedenken, die Fahne neben seinen anderen Wimpeln zu hissen, hatte er nicht, sagt C.: „Denn auf der Weser fahren häufig so beflaggte Schiffe vorbei.“

Die indische Reederei bestätigte das dem Gericht sogar schriftlich: Das Swastika (Hakenkreuz) sei ein altes indisches Glückszeichen und werde seit 1919 auf allen Gewässern in der Flagge geführt. C. selbst will sich auch beim Hafensenator erkundigt haben, welche Fahnen er denn setzen dürfe: „Ob solche aus der DDR, aus Nordkorea und der Sowjetunion. Die haben mich aber nur an eine Bibliothek verwiesen und die haben auch nichts gewußt.“ Er hat sie dann fröhlich ohne weitere Auskunft im Winde wehen lassen.

Der Staatsanwalt meint jedoch, daß C. kompetente Auskunft hätte einholen müssen, etwa bei einer Gerichtsbehörde. Die „maritime Absicht“ des Beschuldigten sei zwar „offensichtlich“, das Hakenkreuz aber hierzulande ein eindeutiges Symbol der NS-Herrschaft. Sein Gebrauch schädige den Ruf der Städte in Deutschland. „Wir sind gerade angesichts des Mannheimer Urteils und des zunehmenden Neonazismus gut beraten damit sehr pingelig umzugehen“, sagt der Staatsanwalt. Er fordert, C. schuldig zu sprechen, aber von einer Bestrafung abzusehen.

C.s Verteidiger warnt dagegen vor Hysterie und fordert Freispruch. Er führt die Anzeige auf einen Nachbarn zurück, den der bei Wind klappernde Flaggenmast schon lange nerve. Sein Mandant habe die Flagge aus „seemännischer Leidenschaft“ gehißt: „Das war eine Dummheit, erfolgte aber ohne politische Absicht. Es war kein Versuch, das Verbot der Verwendung nationalistischer Kennzeichen zu umgehen.“

Der Richter schließt sich dieser Argumentation und spricht C. frei. „Hätte C. jedoch die Reedereiflagge allein aufgezogen, wäre am maritimen Kontext zu zweifeln gewesen. Das Urteil könnte dann anders lauten“, fügt er salomonisch hinzu. C. wird vermutlich darauf verzichten, die Flagge mit dem mißverständlichen „Zeichen des Glücks“ wieder zu hissen: Er hat auf die Rückgabe dieses beschlagnahmten Stücks aus seiner Sammlung verzichtet. abi