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Engelchen in Champagner

■ Alles über das modische Angebot zu Weihnachten: Zu Besuch beim Deko-Großmarkt

„Engelliebhaber gucken auf's Gesicht“, sagt Frau Schröder und hebt zart eine schneeweiße Porzellanfigurine hoch. „Die Leute erwarten Ausdruck“, sagt sie, und deutet wie zum Beweis auf das blasse Gesichtchen. „Da müssen die Augen nachgezeichnet sein, mindestens! Die Leute müssen sich durch den Engel angesprochen fühlen. Dann ist der schon gekauft.“

Ein Raum, wie bei Karstadt in der Lampenabteilung: In jeder Ecke blitzt und blinkt es, ein Labyrinth von Glasregalen, darin Figürchen und Figuren, Osterhasen, Weihnachtsmänner in allen Größen und Positionen, Kerzenständer, Glocken und Glöckchen, Hängeleuchten (Öl), Hängeleuchten (Kerze), Windlichter. Und immer wieder Engel – in blau und gold und grün und schneeweiß und eierschale, was natürlich nicht eierschale heißt, sondern „champagner“, und das ist dieses Jahr angesagt, weihnachtsmäßig. Das sagt Werner Feuss, ein frischgebügelter Mittdreißiger. Und der muß es wissen, denn er macht schon seit Jahren in Engeln und Artverwandtem.,Mu-sikengel-Gruppe in der Trendfarbe champagner/gold': eine Combo vier spätpubertierender Mädels, eine guckt jungmädchenhaft verträumter aus der Engelswäsche als die andere. Sechsundfünfzig achtzig – Großhandelspreis.

Marco Polo heißt der Deko-Großhandel in der Tristesse des Achimer Gewerbegebiets knapp jenseits der Landesgrenze. Bis in das letzte Wohnzimmer wollen sie vordringen, auf daß dort Gemütlichkeit einziehe. Nicht nur zur Weihnachtszeit. Über 4.000 Artikel“, sagt Verkaufsleiter Feuss stolz.

Mitte August, das Weihnachtsgeschäft ist gelaufen. Nach Sylvester geht die Saison los. Der Weihnachtsbraten ist noch nicht ganz verdaut, da wird schon die nächste Gans geschlachtet: „Die Kaufhauskonzerne haben Ende Februar schon 90 Prozent der Ware geordert.“ Mehr als ein halbes Jahr hat dann eine Fachmesse die nächste gejagt: Wallau – München – Bielefeld. Aber jetzt ist die Urlaubssperre aufgehoben, zumindest in der Verkaufsabteilung. „Seit einem Monat wird wie verrückt ausgeliefert.“ Er kann sich jetzt schonmal auf das Frühjahr und Ostern einstellen. Sein Tip für die Outdoor-Deko in der warmen Jahreszeit: „Terracotta! Egal was, aber Terracotta!“

„Der Trend geht ja zum Gemütlichen“, sagt der Verkaufsleiter, und Frau Schröder kommt angelaufen mit einem Halbmond zum Hinhängen in fleckigbleu, passend dazu eine lachenden Sonne und ein Bonsai-Schaukelpferd: „Sonne, Mond und Sterne, das sind ja richtige Ganzjahreswaren geworden.“ Was früher bestenfalls zur Adventszeit das trübe Licht der Wohnzimmerlampe erblicken durfte, das hängt nun unverbrüchlich von Januar bis Dezember. Die Okkupation der Luftmatratze durch den Weihnachtsmann – wenn die Farbe stimmt. Denn das angegammelte blau, „blau patiniert“, verbessert Frau Schröder sanft den Ignoranten, das ist mittlerweile megaout.

Woher das Gemütliche plötzlich kommt, das weiß Feuss auch nicht zu sagen. „Na ja, was heißt schon Trendsetter? Wir müssen uns ja auch orientieren.“ Bloß wo? Die Quelle des Flüßchens Trend, auf dem Marco Polo in die Wohnzimmer geschwemmt wird, diese Quelle heißt Brigitte. Und Ikea. Was heute zigtausende Frauen angucken, das kann morgen verhökert werden. Es sind die Mode- und Innenarchitekturfotos, die den groben Trend vorgeben. Der Ikea-Katalog funktioniert nach genau demselben Muster. Feuss: „Es geht nicht um die Möbel, es geht um die Präsentation. Da holen wir uns die Anregungen.“

Was allerdings keineswegs die regionalen Unterschiede erklärt. Deutschland einig Weihnachtsland – von wegen! Was der Bayer in seinen Baum tut, das würde die Hamburgerin nicht mit spitzigen Fingern anfassen. Baumketten zum Beispiel, das sind aufgefädelte allerliebst kolorierte Laubsägehäuschen, -bäumchen, -weihnachtsmännchen undsoweiter. „Die verkaufen wir im Norden fast gar nicht“, sagt Feuss. Aber dafür jenseits des Weißwurstäquators. „Der Norden ist da eher distanziert.“ Vom West-Ost-Gefälle ganz zu schweigen. Der Osten ist nämlich in der Farbe ein Jahr hinterher. „Bei denen ist noch blau-gold in Mode. Das war bei uns letztes Jahr dran.“ Womit geklärt wäre, wie sich die gemeine Leipzigerin im kommenden Jahr in Weihnachtsstimmung bringen wird.

Der Mezger mag keine Wurst? Klischee! Ob er denn nach einem langen Jahr zwischen Kerzenhäuschen, Windlichten und Schneemännchen Weihnachten nicht am liebsten in seiner Edelstahlküche verbringt – da wehrt der Verkaufsleiter aber überzeugend ab. „Im Gegenteil, man achtet viel mehr drauf. Und schließlich, wenn man dann bei Freunden eingeladen ist, und das Weihnachtszimmer ist top geschmückt, dann muß man sich schon anstrengen, um mithalten zu können.“ Jochen Grabler

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