: „Ihr werdet uns nicht los“
Zehn beeindruckende Gründe, warum Bayer 05 Uerdingen unbedingt in die Fußballbundesliga gehört / Vorreiter im Internationalismus und ständige fußballerische Reinkarnation ■ Aus Krefeld Bernd Müllender
Zu den zeitgenössischen Unumstößlichkeiten im Seelenleben aufgeklärter Fußballiebhaberinnen und -liebhaber gehört der herzenstiefe Haß auf Bayern München und eine unreflektierte freundschaftliche Affinität zu den lebenden Eigenlegenden Borussia Mönchengladbach und FC St. Pauli. Und da ist eine rational nicht erklärbare Antipathie: Den FC Bayer 05 Uerdingen kann, außer ein paar unbeugsamen Krefeldern, niemand leiden. Eine vorurteilsbeladene Unsitte, die glühender Widerrede bedarf. Hier sind zehn gute Gründe.
1. Alternativlosigkeit
Zumindest im Großraum Niederrhein gibt es für die Fußballfreunde keine Alternative mehr zu Bayer Uerdingen. Ruhrgebietsclubs scheiden aus landsmenschschaftlichen und flußgeographischen Überlegungen aus. Fortuna Düsseldorf ist im tiefen Nichts versunken. „Gib mich die Kirsche“, Krefelds Buntligalegende, ist nicht mehr. Und Gladbach? Kann es überhaupt noch einen Menschen aufrechter Gesinnung geben, der diesem Club die Daumen drückt, seit Stefan Fuckenberg dort seine Finger im Spiel hat? Undenkbar!
2. Ökologisch korrekt
Bayer steigt auf, heißt ein Branchenwitz, und keiner in Krefeld bekommt es mit. Fragt höchstens: Ach, waren die abgestiegen? Selbst Taxifahrer ignorieren den Club: „Zum Stadion“ wollte einmal ein Fahrgast und wurde zum Eishockeytempel des KEV kutschiert. Max Merkel hat nachgezählt: „Jede Straßenbahn hat mehr Anhänger als Uerdingen.“ Ganz korrekt ist das nicht: Ein paar Tausend Leute gehen schon hin. Und wenn, dann nehmen sie die Straßenbahn mit den vielen Waggons oder das Fahrrad. Nirgendwo in Fußballdeutschland fahren anteilig so viele Fans ökologisch korrekt zum Kick. Bayer-Freund sein heißt Flagge zeigen. Sich hartnäckig verteidigen müssen. Das schult das Argumentationsvermögen. Zur Belohnung ist jeder im Stadion fast ein VIP für sich. In einem Leserbrief an die taz schrieb kürzlich der Bayer-Fan-Club aus Gladbach (!), sieben ihrer Mitglieder hätten dank geschickter Verteilung auf vier Tribünen beim Auswärtsspiel in Dresden mehr Stimmung gemacht „als 100.000 pseudo-brasilianische Amis in grün-gelbem Samba-Look“ beim WM-Endspiel. Und: „In Wahrheit lieben uns alle.“
3. Gorlukowitschmania
Von wegen Retortenklub! Schon immer bestach der Kader des FC Bayer durch unverwechselbare Spielertypen. Aus dem Vorgestern seien nur der skurrilste Torwart seit Radenkovic genannt, Fliegenfänger Manni Kroke. Oder Manni Burgsmüller, der in Krefeld seine schlitzohrige Karriere startete. Oder Rotschopf Ludwig Lurz, der selbst nach brutalstem Foul an ihm noch lächelte. Oder Stopper/Schlächter Norbert Brinkmann, der selbst nach brutalstem Foul von ihm noch lächelte. Heute heißt der Liebling der nicht existenten Massen Sergej Gorlukowitsch, ein ungestümes Ungetüm, das noch viel schlimmer foult als es ohnehin schon aussieht und in seiner perfiden Ungeschlachtheit stets große Freude garantiert.
4. Politischer Kampf
Zugegeben: Als Fan anfeuernd den Namen eines Chemiemultis durch die Gegend zu rufen, ist politisch pikant. Dennoch: Der politische Kampf gegen Konzerne wie Bayer kann nicht auf dem Fußballplatz gewonnen werden. Deshalb bewegt sich die Bayer-Fanschaft durchaus noch im Rahmen der Correctness. Wer sich als kritischer Aktionär eine Aktie des Pillengiganten zulegt, liebäugelt auch nicht mit einem Vorstandsposten. Und was der Konzern auf Nimmerwiedersehen in den Fußballverein buttert, investiert er nicht in neue Giftfabriken.
5. Kreaturenkooperation
Die Krefelder Grotenburg- Kampfbahn (ist nicht der Name schon liebenswert?) grenzt als einziges Erstligastadion direkt an den örtlichen Zoo. Anfangs gab es noch Probleme, auch in der taz mehrfach thematisiert. So goutierte der brasilianische Mähnenwolf („ein nahezu ausgerotteter Siedlungsflüchter“) den ekstatischen Torschrei zunächst gar nicht; Schneeleopard wie auch afrikanischer Wildhund galten bei lautstarken Gefühlsaufwallungen nebenan anfangs als „wahnsinnig pingelig“ (Zoochef). Heute, das zeigten taz-Interviews am vergangenen Samstag mit den beschallten Kreaturen, haben sich die Vierbeiner mit dem Fußball arrangiert. „Wir gehen halt ins Haus“, meinte lakonisch ein Wildhund für viele und trollte sich beim Anpfiff. Eine Schneeleopardin verwies auf den freundlicherweise mäßigen Enthusiasmus der Krefelder. „Und so viele Tore schießen die ja auch nicht.“
6. Vereinsweite Demut
Nie gab es in Krefeld Randale. Die Fanstimmen klingen seit dem Start im Profifußball 1971 eher wie ein Kinderchor denn eine wildgewordene Halbstarkenversammlung. Auch die Trainerfrequenzen sind branchenuntypisch. Außer dem unentlaßbaren Otto Rehhagel und derHüpfmaus Winfried Schäfer gibt es ligaweit keinen Coach, der so lange im Amt ist wie Uerdingens bescheidener Sympath Friedhelm Funkel (derzeit in der 5. Saison). Abstieg, Aufstieg, Abstieg, Aufstieg – auf und nieder immer wieder mit dem gleichen Mann – wo sonst ist das möglich?
7. Vereinsinterne Bescheidenheit
Bayer Uerdingen hat den mit Abstand geringsten Etat (8,5 Millionen) aller Bundesligaclubs: Hier kämpft also David gegen 17 teilweise größenwahnsinnige Goliaths. Und der 2. Vorsitzende Otto Pütz sagt bescheiden: Hauptsache, wir stehen vor Bayer Leverkusen. Er war am Samstag nach dem 1:1 gegen Ewald Lienens starken MSV Duisburg glücklich. Der umhätschelte konzerninterne Konkurrent hatte bekanntlich seinen Auftakt vergeigt. Außerdem weiß Pütz: Nur wenn sie wieder absteigen, können sie auch wieder aufsteigen.
8. Buntmäusigkeit gestern
Von wegen Graue Maus! Was hatte denn Schalke 04 zu bieten in den vergangenen zehn Jahren (außer Skandalen)? Was Köln, was Gladbach oder Frankfurt? Nichts! Uerdingen war Pokalsieger 1985 – gegen die hochnäsigen Bayern (2:1)! Danach nochmal Bundesligadritter. Uerdingen hat mit dem 7:3 gegen Dynamo Dresden für das wildeste Europapokalspiel aller Zeiten gesorgt. Und Uerdingen war 1986 im Europacup-Halbfinale – wann waren da eigentlich die Bayern zuletzt?
9. Buntmäusigkeit heute
Kein Verein der Fußballbundesliga hat heute mehr Spieler in seinem Ensemble, die für andere Staaten A-Nationalspieler waren: Peschke (DDR), Probierz (Polen), Bittengel (CSFR), Reinmayr (Österarm), Gospodin Gorlukowitsch (Rußland) und der winzige wie bärenstarke Neuzugang vom PSV Eindhoven, Jan Heintze (Dänemark). Aber keinen eigenen DFB-Nationalkicker. Bayer Uerdingen: Gegen Nationalismus! Für Ausländerintegration! Der Krefelder Vorortclub als Vorreiter im fußballerischen Internationalismus! Und wenn ein Uerdinger zu Hause das Tor trifft, spielen sie Edi Fingers 1978er „Tor! Tor! Tor! I werd narrisch“ ein. Ist der akustische Hinweis auf die Schmach von Córdoba nicht schon eine kleine feine Provokation des DFB-Fußballerismus? Muß man da nicht, trotz aller Mähnenwölfe, auf viele Tore hoffen?
10. Ewige Unkaputtbarkeit
Bundesliga-Rekordaufsteiger ist Bayer Uerdingen mittlerweile sowieso, eine Art ständiger fußballerischer Reinkarnation also. Und so hing denn am Samstag bei des Serienaufsteigers vierter Bundesligapremiere trotzig das Transparent nachfolgenden Inhalts am Zaun: „Ihr werdet uns nicht los. Immer wieder aufsteigbar.“ Finden wir uns damit ab: Bayer Uerdingen, der nicht operable Appendix der Liga, ist unkaputtbar. Und so soll es auch bleiben.
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