: Gerappter Schulfunk
■ Word Up: Im Doppelpack aus Comic-Heft plus HipHop-Tape versuchen sich Kyle Baker und KRS-One mit Tanzmusik an einer Alphabetisierungskampagne
Auf der Zeichnung ist nur ein Ghetto-Blaster zu sehen: „I'm african. I'm not ashamed. I'm not to blame for playing the wrong game, the man who stole us played the same! Learn your culture before you go insane.“ Zwei Bilder später tanzen einige Figuren sehr freudig zu diesen Worten. HipHop-Diskurs der Neunziger, gesungen von KRS-One. Der Song ist auf Kassette Teil des Soundtracks zu Kyle Bakers Comic „Break the Chain.“ Der „Psychosonic Comic“ erscheint als Doppelpack populärer Medien, bei dem alle Sprechblasentexte als gerapptes Schulfunkhörspiel mitgeliefert werden. Beim Kommando „Word“ heißt es die Seite umschlagen – so als sollten unsere Eltern recht behalten, daß Comic Analphabetenzeug ist. Aber wer hört schon auf Eltern?
Die Story beginnt mit vier Kids, die in irgendeiner amerikanischen Großstadt sitzen und den Songs von KRS-One, hier in der Figur des Big Joe Krash, zuhören. Erst reden sie über Musik und Schuleschwänzen, dann geht es schon bald um Identität durch Wissen: „It's up to you to find the real you / Your original culture, the original you“. Schließlich gehen sie zur Oma, die ihnen Bücher (graus, graus!) zum Thema zeigt (sie ist Lehrerin!) – natürlich findet sie HipHop zu laut, am Ende tanzt sie aber doch mit. Botschaft satt.
Nur, eine Story ist das nicht. Es fehlt, was eine Geschichte fett macht: Ereignisse, Gegnerschaften, Handlungsumschwünge. Selbst das Klischee-Feindbild als Teil der täglichen Wirklichkeit, die Polizei, taucht nur am Rande auf. Da bleiben nicht viele Chancen zum Nacherleben, zur Identifikation mit den Helden.
„Break the Chain“ ist als Fabel vor allem aufklärerisch und sperrig – wäre da nicht der Beat der Musik von KRS-One, die zeigt, das Theoretisier- und Tanzbarkeit sich nicht ausschließen. Und der Stil, in dem Kyle Baker das Comic komponiert hat. Er ironisiert das „I'm Greater“- Gehabe der HipHop-Kids, indem er mit zwei Panels eine Rahmenhandlung baut. Im ersten fällt ein Ungeheuer über Erdlinge her, die nicht auf den Befehl zum Seitenumschlagen gehört haben; im zweiten zeichnet sich der lesende Junge in das Panel, um als Supermann das Ungeheuer anzugreifen (Pikanterweise erscheint BtC bei Marvel, dem Superman-Verlag).
Der Schulfunkrealismus des Soundtracks wird von Baker durch bewußt eingesetzte Zweidimensionalität der Bilder und deren starke Dynamisierung durch extreme Perspektiven relativiert. Das Doppelpack Musik und Comic wird am stärksten, wo der klare Aufruf neben einer widersprüchlichen Psychologie steht, wo im Schlagschatten großer Worte auch Empfindlichkeiten Platz finden. Malcolm gibt nur widerstrebend sein profundes Wissen über seinen Namenspatron Malcolm X preis, da er Angst hat, als Karriereschwarzer und Streber verhöhnt zu werden: „Call me Poindexter or something like that.“
Der afroamerikanische Diskurs behauptet sich wesentlich als Gegensatz zum Machtdiskurs der Weißen. Das kann die argumentativen Plattheiten von KRS-One/ Baker allerdings nicht rechtfertigen: die Sklavenhaltergesellschaft der (schwarzen? farbigen?) Ägypter als historisches Vorbild, die afrikanische Herkunft als positiv gewendetes Argument eines rassistischen Elitedenkens. Entscheidend ist jedoch nicht, solche Phrasen im Repertoire zu haben, sondern der Umgang mit ihnen. Das Heft läßt ebenso schnell wieder vom Motiv der „black heritage“ ab, um nach neuen Vorbildern zu suchen: Von der Zulu-Nation über Nelson Mandela bis zur Streetball- Competition. Darin liegt nicht zuletzt auch das Geschick, eine Gegenöffentlichkeit aufzubauen – mit dem Comic am Zeitungskiosk an der Straßenecke. BtC denkt politisch und im Widerspruch zu einem tradierten Kunstbegriff. In seiner Mischung aus Unterhaltung und tanzbarer Verbindlichkeit ist das Heft nebst Kassette Popkultur der Neunziger: „This is the underground way to put knowledge in your brain but first we have to break the chain.“ Martin Zeyn
„Break the Chain“, No.1, ist bei Marvel Music erschienen und kostet 6,99 Dollar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen